Der Rote Mond Von Kaikoura
sagen.« Ein Blick zu Ravenfield bestätigte ihr, dass er noch immer diesen wissenden Ausdruck in den Augen hatte. Oder bildete sie sich das nur ein, weil der Mann sie vollkommen nervös machte?
»Aber jetzt sollten wir Lillian nicht mehr länger in Bedrängnis bringen«, schaltete sich Samantha ein, die wohl erkannt hatte, wie unwohl Lillian sich fühlte. »Mr Ravenfield, Sie wollten uns doch eine Geschichte von Ihrer Farm erzählen. Sind in letzter Zeit wieder Maori dort aufgetaucht?«
»Nun ja, das tun sie eigentlich ständig«, entgegnete Ravenfield.
Lillian war froh darüber, dass jetzt ein anderer im Mittelpunkt stand. Sie lächelte Samantha verschwörerisch zu, dann nahm sie noch einen weiteren Schluck Tee.
Bereits seit einer halben Stunde strich Georg um die Teestube herum und warf immer wieder verstohlene Blicke durch das Fenster. Hin und wieder erhaschte er dabei einen Blick auf Mrs Blake, die unermüdlich dabei war, ihre Kunden mit Tee und Kuchen zu versorgen. Fröhlich lachend warf sie den Kopf in den Nacken und wirkte in allem wie das junge Mädchen, das sie einst gewesen war. Georg hätte diesen Anblick stundenlang genießen können. Allerdings fürchtete er, dass sie ihn bemerken und seine Blicke als aufdringlich empfinden könnte.
Und den Mut, in die Teestube zu gehen … Den musste er wohl erst noch suchen. Eigentlich hatte er forsch in den Laden marschieren wollen, doch dann waren ihm Zweifel gekommen. Die Frau ist fast zwanzig Jahre jünger als du, sagte er sich. Was reizt dich an ihr? Dass sie freundlich zu dir war, hat nichts zu sagen. Immerhin ist sie das, wie es sich gehört, zu all ihren Kunden.
Außerdem bestand die Gefahr, dass Lillian ihn sah, wenn sie zufällig mit ihrer Freundin durch die Stadt spazierte. Was würde sie dazu sagen, dass ich mich für eine Frau interessiere?, dachte er. Immerhin betone ich doch immer wieder, dass ich seit ihrer Großmutter keine Frau mehr angesehen habe …
Aber wahrscheinlich würde sie es auch lächerlich finden, dich an der Straßenecke stehen zu sehen und zu bemerken, dass du ständig zur Teestube hinüberspähst, sagte eine kleine Stimme in seinem Hinterkopf.
Ganz abgesehen davon, dass Mrs Blake dich vielleicht schon gesehen hat und sich fragt, warum du nicht reinkommst.
Georg fasste sich ein Herz. Tief durchatmend, strich er die Revers seiner Jacke glatt, richtete seine Manschetten und schritt auf die Teestube zu. Dabei rammte er fast einen Mann, der eine Schubkarre über die Straße schob.
»Passen Sie doch auf, Mister!«, rief der ihm nach, doch Georg hatte nur noch das Fenster im Blick, hinter dem Mrs Blake wieder erschienen war, um ein Tablett auf einen der Tische zu stellen.
Als er unter dem Gebimmel der Türglocke eintrat, klopfte ihm das Herz wie schon seit vielen Jahren nicht mehr. Vielleicht ist es wirklich nur Herzrasen, dachte er. Bei einem Mann meines Alters wäre das ja kein Wunder.
Doch in seinem Innern wusste er, dass dem nicht so war. Auf einmal fühlte er sich wieder wie der junge Bursche, der errötend einem Mädchen gegenübergestanden hatte. Sein Mund wurde trocken, alle Worte, um die er sonst doch nicht verlegen war, schienen auf einmal aus seinem Kopf herausgefallen zu sein. Mrs Blake bemerkte ihn nicht gleich, sodass er die Gelegenheit gehabt hätte, die Flucht zu ergreifen. Doch Georg stand da wie angewurzelt, und als ihm der Gedanke, wieder zu verschwinden, endlich durch den Sinn strich, wandte sich die Teestubenbesitzerin um.
Das Lächeln, das ihr Gesicht förmlich zum Strahlen brachte, lähmte Georg vollends. Wie wunderschön sie doch war! Und er stand da wie ein verliebter Trottel, und ganz gewiss würde er sich gleich bis aufs Mark blamieren!
»Mr Ehrenfels!«, rief Mrs Blake freudig aus und kam dann ohne Umschweife zu ihm. »Schön, dass Sie mich wieder besuchen.«
Für einen Moment glaubte Georg, seine Stimme sei eingerostet wie ein altes Tor. Doch dann kamen ihm die Worte wie von selbst über die Lippen.
»Liebe Mrs Blake, Sie haben bei meinem letzten Besuch solch einen positiven Eindruck bei mir hinterlassen, dass ich gar nicht anders konnte, als wieder zu Ihnen zu kommen.«
Jetzt errötete sie doch tatsächlich! Konnte es so etwas geben?
Georg erwiderte ihr Lächeln ein wenig scheu, dann sagte er: »Bitte verzeihen Sie, ich wollte nicht …«
Mrs Blake bedeutete ihm, zu schweigen, dann spürte er ihre Hand auf seinem Arm. »Kommen Sie, Mr Ehrenfels, ich habe noch einen schönen Tisch frei. Suchen
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