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Der Rote Mond Von Kaikoura

Der Rote Mond Von Kaikoura

Titel: Der Rote Mond Von Kaikoura Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Laureen
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Tiere fliehen siehst, kannst du damit rechnen, dass es entweder ein schlimmes Unwetter oder ein Erdbeben gibt«, hatte er ihr während ihrer privaten Unterrichtsstunden erklärt, und aus diesem Grund hielt es Lillian für wichtig, auch über die Fauna und Flora ihres neuen Heimatlandes Bescheid zu wissen.
    Als sie mit der Wäsche fertig war und ihr Reisekleid angezogen hatte, ging sie zu der kleinen Truhe, in der sie ihre Habseligkeiten verstaut hatte. Unter der Unterwäsche zog sie die kleine Flöte hervor, die sie von dem Kutscher erhalten hatte. Bisher hatte sie noch nicht gewagt, darauf zu spielen. Warum eigentlich nicht?, fragte sie sich, und auf einmal waren all die Erinnerungen wieder da, wie ihr Großvater versucht hatte, ihre Musikalität schulen zu lassen. Besonders viel war dabei nicht herausgekommen, aber auf einer Blockflöte konnte sie recht passabel spielen.
    Auf dem Instrument nachprüfen, wie viel von dem Können noch übrig geblieben war, wollte sie jetzt nicht; stattdessen zeichnete sie mit dem Finger beinahe andächtig die Schnitzerei nach.
    Tohunga, wisperte es durch ihren Verstand. Wenn ich denn eine werden soll, dachte Lillian lächelnd, dann werde ich mich bemühen, eine gute tohunga zu werden.
    Nachdem sie ihr Haar zu einem Zopf geflochten hatte, verließ sie mit der Tasche, die sie schon am Abend zuvor gepackt hatte, ihre Stube. Sie hatte geglaubt, die Erste zu sein, doch als sie den Gang betrat, vernahm sie in der Studierstube ein leises Rumpeln. Offenbar war ihr Großvater bereits auf den Beinen. Das Vorhaben, zu ihm zu gehen, verwarf sie zugunsten der Zubereitung von Kaffee, der für ihren Großvater sicher hilfreicher war als die Frage, warum er denn so früh schon wach war.
    In der Küche setzte sie Wasser auf, holte ein wenig von dem Kuchen hervor, den sie zwei Tage zuvor gebacken hatte, und schnitt Brot auf. Als der Kaffee endlich auf dem Herd brodelte, trat ihr Großvater ein.
    »Guten Morgen, mein Kind, du bist ja schon wach.«
    »Ich wollte sicherstellen, dass wir nicht mit leerem Magen aufbrechen müssen. Vielleicht brauchen unsere Begleiter auch einen kleinen Imbiss.«
    Georg betrachtete lächelnd seine Enkeltochter. »Wie immer denkst du an alles. Aber ich bin sicher, dass Mr Caldwell und Mr Arana Proviant dabei haben werden.«
    »Was meinst du, wie lange wir unterwegs sind?«
    »Schwer zu sagen. Die Karte, die ich geschickt bekommen habe, zeigt zwar die Entfernung an, aber nicht den Zustand des Bodens unter den Pferdehufen. Wenn man die Luftlinie betrachtet, sollten wir morgen früh dort ankommen, doch in diese Rechnung muss man den Busch mit einbeziehen. Manchmal stellen sich einem dort unerwartete Hindernisse in den Weg.«
    »Das heißt, dass wir im Freien übernachten werden?« Lillians Augen strahlten. Mitten im Wald würde es zu Nachtzeiten sicher einiges zu hören und vielleicht auch zu sehen geben.
    »Ja, das wird sich wohl nicht vermeiden lassen. Wenn es dir zu unheimlich ist, kannst du es dir noch überlegen.«
    »Nein, keine Sorge, es ist mir nicht zu unheimlich«, antwortete Lillian schnell. »Ich finde es aufregend!«
    Ein Lächeln huschte über Georgs Gesicht. Offenbar hatte er von seiner Enkelin nichts anderes erwartet.
    Die Reiter trafen kurz vor sechs Uhr ein. Inzwischen schob sich ein roter Sonnenball über den Horizont und schickte sich an, den morgendlichen Dunst über dem Meer zu vertreiben. Vor ihrem Tor machten die Männer Halt und saßen ab.
    Der blonde Gentleman, der in seiner rustikalen Kleidung eher einem Grundbesitzer ähnelte, musste Caldwell sein, während es sich bei dem dunkelhaarigen Mann an seiner Seite wohl um den Maori handelte.
    »Großvater, sie sind da!«, rief sie, auch wenn sie wusste, dass ihr Großvater es bereits mitbekommen hatte.
    Gemeinsam traten sie den beiden Männern entgegen.
    »Pünktlich auf die Minute!«, rief Georg, während er Caldwell entgegenging. »Es ist mir eine Freude, Sie kennenzulernen, Mr Caldwell.«
    Der Physiker lächelte breit. »Die Freude ist ganz meinerseits. Haben Sie sich denn schon ein wenig eingelebt? Ich habe dieses Haus zuletzt vor einigen Monaten gesehen, und mein Erinnerungsvermögen war bereits dermaßen getrübt, dass ich schon fürchtete, Sie in einen ganz unmöglichen Schuppen gesteckt zu haben.«
    »Das Haus ist ganz wunderbar, vielleicht noch nicht perfekt eingerichtet, aber das wird es innerhalb der kommenden Monate sein – dank meiner Enkelin.«
    Damit wandte er sich Lillian zu, die sich

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