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Der rote Planet

Titel: Der rote Planet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander A. Bogdanow
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akuteren und
gröberen
Widersprüchen verdeckt werden. Der Kampf zwischen Klassen,
Gruppen und
Individuen zerstört auf der Erde die Idee des Ganzen und damit
auch das
Glück und die Leiden, die ihr innewohnen. Ich habe Ihre Welt
gesehen
und könnte nicht den zehnten Teil des Wahnsinns ertragen, in
dem die
Erdenmenschen leben. Aber gerade deshalb wage ich nicht zu entscheiden,
wer von uns eher ein ruhiges Glück erreicht: Je geordneter und
harmonischer ein Leben ist, um so qualvoller sind die unausbleiblichen
Dissonanzen.«
    »Sagen Sie, Enno, sind Sie etwa kein
glücklicher Mensch? Jugend,
Wissenschaft, Poesie, und sicherlich Liebe... Was haben Sie Schweres
erdulden müssen, um so eifernd von der Tragödie des
Lebens zu reden?«
    »Das haben Sie sehr gut erkannt«, sagte Enno
lachend, aber das
Lachen klang unecht. »Sie wissen nicht, dass der
fröhliche Enno schon
einmal sterben wollte. Und hätte ihm Menni nur einen Tag
später die
fünf Worte geschrieben, die seine Pläne umwarfen
— ›Willst du zur
Erde mitkommen?‹ —, dann hätten Sie auf
den fröhlichen
Reisegefährten Enno verzichten müssen. Aber jetzt mag
ich Ihnen das
nicht erklären. Sie werden später selbst sehen, dass
es bei uns nicht
nur das friedliche und ruhige Glück gibt, von dem Sie
gesprochen haben.«
    Wir erhoben uns und kehrten ins Museum zurück. Ich
konnte jedoch die
Sammlungen nicht mehr systematisch betrachten, meine Gedanken
schweiften ab. In der Skulpturenabteilung blieb ich vor einer neueren
Statue stehen, die einen wunderschönen Knaben darstellte.
Seine
Gesichtszüge erinnerten an Netti. Am meisten staunte ich
über die
Kunst, mit der der Bildhauer in dem Knabenkörper, in den
unvollendeten
Zügen, in den fragenden Kinderaugen die ihm innewohnende
Genialität
verkörpert hatte. Ich stand lange Zeit unbeweglich vor der
Statue,
alles andere wich aus meinen Gedanken, bis mich Enno zur Besinnung rief.
    »Das sind Sie«, sagte er, auf den Jungen
zeigend. »Das ist Ihre
Welt. Es wird eine wunderbare Welt, aber sie ist noch im Kindesalter;
und sehen Sie, welch verworrene Träume, welch beunruhigende
Bilder sein
Bewusstsein bewegen. Er ist im Halbschlaf, aber er wird erwachen, ich
fühle das, ich glaube zutiefst daran!«
    In das freudige Gefühl, das diese Worte in mir
erweckten, mischte sich ein seltsames Bedauern: Warum hat das nicht
Netti gesagt!

5. Im Krankenhaus
    Ich kehrte erschöpft nach Hause zurück, und
nach zwei durchwachten
Nächten und einem ganzen Tag völliger
Arbeitsunfähigkeit beschloss ich,
mich zu Netti zu begeben, weil ich mich nicht an einen Arzt des
Chemiestädtchens wenden wollte. Netti arbeitete seit dem
Morgen im
Krankenhaus.
    Als er mich im Wartezimmer erblickte, kam er sogleich zu mir
und
betrachtete aufmerksam mein Gesicht. Dann nahm er mich an der Hand und
führte mich in einen abgelegenen kleinen Raum, wo sich ein
feiner Duft
mit sanftem blauem Licht mischte; die Stille wurde durch nichts
gestört. Netti hieß mich in einen bequemen Sessel
setzen und sagte:
»Denken Sie an nichts, machen Sie sich keine Sorgen! Die nehme
ich
heute auf mich. Ruhen Sie sich aus, ich komme bald wieder.«
    Er ging fort, und ich dachte an nichts, sorgte mich um nichts,
weil
Netti all meine Gedanken und Sorgen auf sich genommen hatte. Das war
sehr angenehm, und nach wenigen Minuten schlief ich ein. Als ich
erwachte, stand Netti vor mir und sah mich lächelnd an.
    »Ist Ihnen jetzt besser?« fragte er.
    »Ich bin völlig gesund, Sie sind ein
genialer Arzt«, antwortete ich.
»Gehen Sie zu Ihren Kranken und kümmern Sie sich
nicht um mich.«
    »Meine Arbeit ist für heute beendet. Wenn
Sie möchten, zeige ich Ihnen unser Krankenhaus«,
schlug Netti vor.
    Das interessierte mich sehr, und wir begaben uns auf einen
Rundgang durch das weitläufige Gebäude.
    Die chirurgische und die neurologische Klinik waren die
weitaus
größten Abteilungen. Viele Patienten lagen in der
chirurgischen Klinik
als Opfer von Arbeitsunfällen.
    »Gibt es denn in den Fabriken nicht genügend
Schutzvorrichtungen?« fragte ich Netti.
    »Schutzvorrichtungen, die Unfälle
völlig ausschließen, dürfte es
kaum geben. Aber hier sind alle Patienten aus einem Gebiet mit einer
Bevölkerung von mehr als zwei Millionen beisammen, da sind ein
paar
Dutzend Unfälle nicht viel. Meist sind es Neulinge, die sich
mit den
Maschinen noch nicht auskennen. Schließlich wechseln alle

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