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Der rote Planet

Titel: Der rote Planet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander A. Bogdanow
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Stereogramme und Phonogramme. So wollte ich Zeitverlust vermeiden, aber
die Zerstreutheit schlich sich immer unmerklicher in mein Hirn, und ich
ertappte mich dabei, dass ich schon lange auf einen Punkt starrte, ohne
etwas zu begreifen.
    Legte ich mich ins Bett und sah durch das gläserne
Dach in den
Nachthimmel, begann mein Geist eigenmächtig und mit
erstaunlicher
Lebhaftigkeit zu arbeiten. Ganze Seiten von Zahlen und Formeln
marschierten mit solcher Klarheit auf, dass ich sie Zeile für
Zeile
lesen konnte. Aber diese Bilder machten bald anderen Platz. Dann
erblickte ich ein Panorama von Bildern, die nichts mit meiner Arbeit
und meinen Sorgen zu tun hatten: Irdische Landschaften, Theaterszenen
oder Ansichten aus Kindermärchen spiegelten sich ruhig in
meiner Seele,
tauchten unter und verwandelten sich, ohne mich innerlich zu
berühren,
höchstens dass schwache Neugier aufkeimte, der ein angenehmer
Beigeschmack anhaftete. Diese Bilder wurden anfangs im Innern meines
Bewusstseins projiziert, ohne sich mit der Umgebung zu vermengen, dann
verdrängten sie die Wirklichkeit, und ich sank in einen Schlaf
voller
wirrer Träume, einen unruhigen Schlaf, der mir nicht das gab,
was ich
brauchte — Erholung.
    Ein Rauschen in den Ohren hatte mich schon lange beunruhigt,
jetzt
wurde es immer anhaltender und stärker, so dass es mich beim
Abhören
der Phonogramme störte, und in den Nächten
verscheuchte es den letzten
Schlaf. Von Zeit zu Zeit traten aus dem Rauschen menschliche Stimmen
hervor, bekannte und unbekannte, manchmal schien mich jemand mit Namen
anzusprechen, manchmal vermeinte ich ein Gespräch zu
vernehmen, dessen
Worte ich in dem Rauschen nicht verstehen konnte. Ich begriff, dass ich
nicht völlig gesund war, um so mehr, als ich immer zerstreuter
wurde
und nicht einmal mehrere Zeilen hintereinander lesen konnte.
    Das ist einfach übermüdung, dachte ich. Ich
habe zu viel gearbeitet
und muss mich mehr ausruhen. Aber Menni braucht das nicht zu wissen,
das gliche zu sehr einer Kapitulation gleich zu Beginn meines Werkes.
    Wenn Menni in mein Zimmer kam — das geschah damals
nicht oft —, tat
ich, als sei ich sehr beschäftigt. Er meinte, ich
wäre zu fleißig und
würde mich überanstrengen.
    »Heute sehen Sie nicht gesund aus«, sagte er.
    »Schauen Sie in den Spiegel, wie Ihre Augen
glänzen und wie blass
Sie sind. Sie müssen verschnaufen, danach holen Sie alles
leicht auf.«
    Ich wollte es tun, aber es gelang mir nicht. Eigentlich tat
ich fast
gar nichts mehr, denn mich ermüdete schon die kleinste
Anstrengung, und
der Strom lebendiger Bilder und Erinnerungen riss Tag und Nacht nicht
ab. Die Umgebung verblasste und wurde zu einer Geisterwelt.
    Schließlich musste ich mich geschlagen geben. Ich
wurde immer
schlaffer und apathischer und konnte immer weniger gegen meinen Zustand
ankämpfen. Als ich eines Morgens aufstand, wurde mir schwarz
vor den
Augen. Das verging bald, und ich trat ans Fenster und betrachtete die
Parkbäume. Plötzlich spürte ich, dass mich
jemand ansah. Ich drehte
mich um — vor mir stand Anna Nikolajewna. Ihr Gesicht war
bleich und
traurig, in ihrem Blick las ich Vorwürfe. Das
betrübte mich, und ohne
mich im geringsten über das Seltsame der Erscheinung zu
wundern,
schritt ich auf sie zu und wollte sie ansprechen. Aber sie verschwand,
als wäre sie ein Geist.
    Da begann eine Gespensterorgie. An vieles erinnere ich mich
nicht
mehr, und offenbar war mein Verstand im Wachen so verwirrt wie im
Traum. Die unterschiedlichsten Menschen, denen ich im Leben begegnet
war, sogar völlig unbekannte Leute kamen und gingen, oder sie
tauchten
plötzlich auf und verschwanden wieder. Aber alles waren
Erdenmenschen,
meist solche, die ich lange Zeit nicht gesehen hatte —
Schulkameraden,
mein jüngerer Bruder, der schon als Kind gestorben war. Einmal
sah ich
durchs Fenster einen bekannten Spitzel, der mich mit unsteten
Raubtieraugen musterte und boshaft lächelte. Die Gespenster
sprachen
nicht mit mir, doch nachts, wenn es still war, verstärkten
sich die
akustischen Halluzinationen, wurden zu zusammenhängenden, aber
sinnlosen, inhaltsleeren Gesprächen, meist zwischen mir
unbekannten
Personen: Ein Fahrgast feilschte mit einem Kutscher, ein
Verkäufer
pries einem Kunden einen Stoff an, Studenten lärmten im
Auditorium der
Universität, und der Subinspektor bat um Ruhe, weil der Herr
Professor
gleich erscheinen

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