Der rote Planet
Deshalb ist er Arzt geworden, und das hat ihn auch umgebracht. Er hat
seinen Seelenzustand so gut vor allen verborgen, dass die Katastrophe
völlig überraschend kam. Sie geschah nach einer
schweren Epidemie, die
beim Trockenlegen einer Meeresbucht ausgebrochen war. Ursache der
Epidemie waren Millionen Fische, die umgekommen und verwest waren. Die
Krankheit war qualvoll wie die Cholera auf der Erde, aber weitaus
gefährlicher, und in neun von zehn Fällen endete sie
mit dem Tode. Die
Ärzte konnten nicht einmal die Bitten ihrer Kranken um einen
schnellen
und leichten Tod erfüllen: Ein Mensch, der von einer schlimmen
fieberhaften Erkrankung heimgesucht wird, ist schließlich
nicht bei
klarem Verstand, um frei eine solche Entscheidung zu treffen. Mein
Lehrer arbeitete wie ein Besessener, und er fand ziemlich bald ein
Mittel gegen diese Epidemie. Danach wollte er nicht
weiterleben.«
»Wie alt war er?«
»Auf der Erde wäre er ungefähr
fünfzig Jahre alt gewesen. Bei uns ist ein
Fünfzigjähriger noch ein junger Mensch.«
»Und der zweite Fall?«
»Das war eine Frau, die Mann und Kind zugleich
verloren hatte.«
»Und der dritte?«
»Das könnte Ihnen nur der Betroffene selber
sagen.«
»Das ist wahr«, pflichtete ich ihm bei.
»Aber erklären Sie mir etwas
anderes: Warum bleiben die Marsmenschen so lange jung? Ist das eine
Besonderheit Ihrer Menschen, die Folge besserer Lebensbedingungen? Oder
hat das einen anderen Grund?«
»Eine Besonderheit der Menschen unseres Planeten ist
es nicht; Vor
zweihundert Jahren haben wir nur halb so lange gelebt. Bessere
Lebensbedingungen? Ja, in hohem Maße wohl. Aber nicht nur. Das
Wichtigste ist unsere Lebenserneuerung.«
»Was ist das?«
»Eigentlich eine ganz einfache Sache, doch Ihnen wird
sie merkwürdig
vorkommen. Dabei könnte sie auch auf der Erde schon angewandt
werden.
Um die Lebensfähigkeit der Zellen oder der Organismen zu
erhöhen,
ergänzt die Natur bekanntlich ein Individuum durch ein
anderes. Zu dem
Zweck verschmelzen zwei einzellige Lebewesen, wenn ihre Lebenskraft
abnimmt, und nur auf diesem Wege gewinnen sie ihre
Vermehrungsfähigkeit
in vollem Maße wieder — das ist die
›Unsterblichkeit‹ ihres
Protoplasmas. Denselben Sinn hat auch die geschlechtliche Vermehrung
höherer Pflanzen und Tiere: Hier vereinigen sich ebenfalls
Elemente
zweier Lebewesen, um den vollkommeneren Keim eines dritten Lebewesens
zu erzeugen. Auf der Erde kennt man schon die Anwendung von Blutserum,
um bestimmte Eigenschaften von einem Lebewesen auf ein anderes zu
übertragen — beispielsweise erhöhte
Widerstandskraft gegen bestimmte
Krankheiten. Wir gehen weiter und nehmen einen Blutaustausch zwischen
zwei Menschen vor. Jeder überträgt auf den anderen
Eigenschaften, die
seine Lebenskraft fördern. Dabei werden einfach die Venen
beider
Menschen an entsprechende Geräte angeschlossen. Wenn man alle
Vorsichtsmaßnahmen beachtet, ist das völlig
ungefährlich. Das Blut des
einen Menschen lebt im Organismus des anderen weiter, wobei es sich mit
dem vorhandenen Blut mischt und bewirkt, dass alle Gewebe regeneriert
werden.«
»Kann man auf diese Weise auch Greisen die Jugend
wiedergeben, indem man junges Blut in ihre Adern
gießt?«
»Zum Teil ja, aber nicht vollständig, denn
das Blut ist schließlich
nicht alles im Organismus, und es wird ständig erneuert.
Deshalb altert
ein junger Mensch nicht vom Blut eines Älteren: Das Schwache,
Greisenhafte wird vom jungen Organismus schnell überwunden,
gleichzeitig aber eignet er sich vieles an, was ihm fehlt. Die Energie
und Anpassungsfähigkeit seiner Lebensfunktionen
erhöhen sich ebenfalls.«
»Warum nutzt unsere Medizin dieses Mittel nicht, wenn
es so einfach
ist? Sie kennt doch die Blutübertragung seit mehreren hundert
Jahren.«
»Ich weiß es nicht, vielleicht gibt es
besondere organische
Bedingungen, so dass dieses Mittel bei Ihnen nicht wirkt. Oder Ihre
Auffassung vom Individuum ist schuld daran, denn auf der Erde ist ein
Mensch von anderen stark abgegrenzt, und der Gedanke an eine lebendige
Vereinigung ist Ihren Gelehrten bisher fremd. Außerdem gibt es
auf der
Erde viele Krankheiten, die das Bioit vergiften, Krankheiten, von denen
die Kranken oft selbst nichts wissen und die sie manchmal sogar
verheimlichen. Die in Ihrer Medizin praktizierte —
übrigens sehr selten
praktizierte — Blutübertragung hat mehr
philanthropischen Charakter:
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