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Der Rote Sarg

Der Rote Sarg

Titel: Der Rote Sarg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Eastland
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in die Zelle zu kommen und ihn hochzuziehen, stand der Gefangene schließlich auf.
    Jetzt erkannte Pekkala ihn mehr schlecht als recht. Es war Grodek. Er war zwei Monate zuvor als Anführer einer Gruppe, die ein Attentat auf den Zaren geplant hatte, in einem Schnellverfahren verurteilt worden. Nach dem Urteilsspruch war Grodek, der nur ein paar Jahre älter war als Alexej, in den Katakomben des Gefängnisses verschwunden. Pekkala hatte angenommen, dass man ihn hingerichtet hätte. Das Attentat war zwar gescheitert, aber selbst der Versuch oder die laut geäußerte Absicht galten als Kapitalverbrechen. Außerdem war es Grodek gelungen, mehrere Ochrana-Agenten zu töten, bevor Pekkala ihn auf der Potsulejew-Brücke gestellt hatte. Das alles war mehr als genug, um ihn zum Tode zu verurteilen.
    Nur Grodeks Gesichtszüge kamen Pekkala noch einigermaßen bekannt vor. Die Haare waren abrasiert, der kahle Schädel war von einem offenen Ausschlag überzogen. Die Gefängniskleidung hing ihm in Fetzen am ausgemergelten Leib, die Haut schimmerte unter einer grauen Dreckschicht. Seine eingefallenen, beim Prozess noch so aufgeweckten Augen stierten ins Leere.
    Grodek lehnte sich gegen die Wand, schlang die Arme um die Brust und zitterte ganz erbärmlich. Pekkala konnte kaum glauben, dass das die Person war, die noch im Gerichtssaal die Monarchie und alles, wofür sie stand, verflucht hatte.
    Blinzelnd sah Grodek ins Licht der Öllampe. »Wer ist da?«, fragte er. »Was wollen Sie von mir?«
    »Ich habe dir jemanden mitgebracht«, sagte die Wache.
    Der Zar wandte sich an den Wachmann. »Lassen Sie uns allein«, befahl er.
    »Ja, Exzellenz.« Der Wachmann stellte die Laterne ab und tastete sich mit dem Arm an der Wand durch den Gang zurück.
    Grodek, vom Laternenlicht nicht mehr geblendet, erkannte jetzt seine Besucher. »Heilige Mutter Gottes«, flüsterte er.
    Der Zar wartete, bis die Schritte des Wachmanns verklungen waren, bevor er das Wort an Grodek richtete. »Sie kennen mich«, sagte er.
    »Ja«, erwiderte Grodek.
    »Und meinen Sohn Alexej«, sagte der Zar und legte dem Jungen die Hand auf die Schulter.
    Grodek nickte, sagte aber nichts.
    »Dieser Mann«, sagte der Zar zu Alexej, »ist des Mordes sowie des versuchten Mordes schuldig gesprochen worden. Er hat versucht, mich zu töten. Was ihm nicht gelungen ist.«
    »Ja«, sagte Grodek, »es ist mir nicht gelungen, aber ich habe etwas in Gang gesetzt, was letztlich zu Ihrem Tod und dem Ende Ihrer Herrschaft führen wird.«
    »Hörst du!«, sagte der Zar und hob die Stimme. »Hörst du, wie aufsässig er immer noch ist.«
    »Ja, Vater«, antwortete Alexej.
    »Und was soll mit ihm geschehen, Alexej? Er ist von deinem Fleisch und Blut; ein entfernter Verwandter, aber trotzdem ein Verwandter.«
    »Ich weiß nicht, was mit ihm geschehen soll«, sagte der Junge. Seine Stimme zitterte.
    »Eines Tages, Alexej«, sagte der Zar, »wirst du entscheiden müssen, ob Männer wie er leben dürfen oder sterben müssen.«
    Grodek trat nach vorn in die Mitte seiner Zelle, wo in der bloßen Erde die Abdrücke seiner Knie und Ellbogen zu sehen waren. »Es mag Sie überraschen, aber ich habe nichts gegen Sie oder Ihren Sohn«, sagte er. »Ich kämpfe nur gegen das, wofür Sie stehen. Sie sind ein Symbol für alles Falsche auf der Welt. Aus diesem Grund habe ich gegen Sie gekämpft.«
    »Auch Sie sind zu einem Symbol geworden«, erwiderte der Zar, »was Sie, wie ich annehme, von Anfang an gewollt haben. Und was Ihre edlen Beweggründe angeht, warum Sie mich hinterrücks erschießen wollten – nichts als Lügen. Aber ich bin nicht gekommen, um mich an Ihrer gegenwärtigen Situation zu weiden. Ich bin hier, weil mein Sohn jetzt gleich entscheiden wird, wie mit Ihnen weiter zu verfahren sein wird.«
    Alexej, so verwirrt und ängstlich wie der junge Mann hinter dem Gitter, sah zu seinem Vater.
    »Aber ich soll doch hingerichtet werden«, sagte Grodek. »Das erzählen mir die Wachen jeden Tag.«
    »So wird es vielleicht auch geschehen«, erwiderte der Zar, »wenn mein Sohn es so verfügt.«
    »Ich will diesen Mann nicht töten«, sagte Alexej.
    Der Zar klopfte seinem Sohn auf die Schulter. »Du wirst niemanden töten, Alexej. Das ist nicht deine Aufgabe im Leben.«
    »Aber du verlangst von mir, dass ich entscheide, ob er getötet wird!«, protestierte der Junge.
    »Ja«, antwortete der Zar.
    Grodek fiel auf die Knie und streckte ihnen die Hände entgegen. »Exzellenz«, sprach er zum Zarewitsch, »Sie

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