Der Rote Sarg
einschlug.
»Ich habe dich gewarnt, Maximow!«
»Ich bin nicht Maximow!«, schrie Pekkala.
Der Schatten kam auf ihn zu, blieb am Rand des Straßengrabens stehen und sah zu Pekkala. »Wer sind Sie dann?«
Jetzt erkannte Pekkala die Stimme. »Konstantin«, sagte er. »Ich bin es, Inspektor Pekkala.«
Er war jetzt so nah, dass Pekkala das Gesicht des Jungen sowie die auf ihn gerichtete Pistole erkannte.
Nagorskis PPK, wie er anhand des kurzen Laufs, der leicht abgerundeten Mündung und dem weit vorn am Lauf ansetzenden Abzugsbügel sofort wusste. Und plötzlich war ihm alles klar. »Was hast du getan, Konstantin?«, murmelte er, während er aus dem Graben stieg.
»Ich habe Sie für Maximow gehalten. Ich habe seinen Wagen gesehen …«
»Ich rede von deinem Vater!«, stieß Pekkala wütend hervor. Er deutete auf die PPK. »Wir wissen, dass Oberst Nagorski mit dieser Waffe getötet wurde. Warum hast du das getan, Konstantin?«
Sehr lange sagte der Junge nichts.
Ihr Atem hing wie Nebel zwischen ihnen.
Langsam streckte Pekkala die Hand aus. »Mein Junge«, sagte er, »du kannst nirgendwohin.«
Als Konstantin das hörte, traten ihm Tränen in die Augen. Kurz zögerte er, dann legte er Pekkala die Pistole in die offene Hand.
Pekkala nahm sie an sich. »Warum hast du es getan?«, fragte er.
»Es war seine Schuld«, sagte Konstantin. »Habe ich zumindest geglaubt.«
»Was ist an diesem Tag passiert?«
»Es war mein Geburtstag. Eine Woche davor hat mein Vater mich gefragt, was ich mir wünsche, und ich habe gesagt, ich möchte einmal im Panzer mitfahren. Er meinte, das sei unmöglich. Meine Mutter würde es nie erlauben. Aber dann hat er gesagt, wenn ich ihm verspreche, dass ich ihr nichts erzähle, würde er mit mir aufs Erprobungsgelände hinausfahren. Meine Mutter hat geglaubt, er hätte meinen Geburtstag völlig vergessen. Sie haben sich gestritten, aber das war mir zu dem Zeitpunkt egal.«
»Warum das denn?«, fragte Pekkala.
»Maximow hat mir einen Brief geschickt. Einen Brief in einer Geburtstagskarte.«
»Was stand in dem Brief?«
»Er hat mir geschrieben, dass sich meine Eltern trennen wollen. Ich sollte es wissen, weil sie es mir nicht sagen würden.«
»Sie hätten es dir gesagt«, entgegnete Pekkala, »sobald sie nach Moskau gezogen wären. Es wäre für beide besser gewesen, Konstantin. Außerdem ging es Maximow überhaupt nichts an. Und warum musste er es dir an deinem Geburtstag erzählen?«
»Keine Ahnung«, antwortete Konstantin. »Aber wenn man solche Sachen hört, ist es völlig egal, wann man sie erfährt.«
»Hast du den Brief noch?«
Konstantin holte einen Stoffgeldbeutel aus der Tasche und zog zwischen den Münzen und zerknäulten Geldscheinen den zusammengefalteten Brief heraus. »Ich muss ihn mittlerweile schon hundertmal gelesen haben. Und jedes Mal hoffe ich, es würde etwas anderes drinstehen.«
Pekkala betrachtete den Brief. Es fiel ihm in der Dunkelheit schwer, die Worte zu entziffern, aber nach allem, was er sehen konnte, schien Konstantin die Wahrheit zu sagen. »Kann ich den für eine Weile behalten?«, fragte er.
»Ich brauch ihn nicht mehr«, flüsterte der Junge gepresst. Auf einmal schien ihm die ganze Tragweite seiner Tat bewusst zu werden.
»Hast du deinen Eltern erzählt, was in dem Brief steht?«, fragte Pekkala. Er faltete das Blatt zusammen und legte es in seinen Pass.
»Wozu?«, fragte Konstantin. »Ich habe immer Angst gehabt, dass sie sich trennen. Irgendwie habe ich es immer gewusst. Und ich habe immer gewusst, dass Maximow mich nie anlügen würde. Er hat sich immer um mich gekümmert. Mehr als meine Eltern.«
»Was hast du getan?«
»Ich habe mich mit meinem Vater getroffen, wie wir es ausgemacht haben. Er hat mich zum Erprobungsgelände gebracht und mich den Panzer fahren lassen, durch die Tümpel und den Schlamm und über die Hügel. Mein Vater hat seinen Spaß gehabt, es war eines der wenigen Male, dass ich ihn richtig lachen hörte. Ich hätte auch meinen Spaß haben sollen, aber ich hab immer nur an Maximows Brief denken müssen, und je mehr ich daran gedacht habe, umso wütender bin ich auf meinen Vater geworden, weil ihm der verdammte Panzer wichtiger war als seine Familie. Ich konnte den Gedanken nicht mehr ertragen, dass er mir und meiner Mutter noch mehr Kummer bereitet, als er es sowieso schon getan hat. Und dann haben wir den Panzer mitten auf dem Erprobungsgelände angehalten, mitten in einer Grube voller Wasser und Schlamm. Wir sind
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