Der Rote Sarg
Formular ins Licht, überflog die Seite und suchte nach Unregelmäßigkeiten. Es war ein Standardformular, korrekt ausgefüllt von jemandem im Stalingrader Traktorenwerk, das, wie er wusste, zur Panzerproduktion umgebaut worden war. Auch die Werksbezeichnung klang plausibel – KhPZ 183/STZ. Die Unterschrift war so hastig hingekritzelt, dass sie, wie so häufig auf solchen Formularen, nicht zu entziffern war. Nichts Ungewöhnliches also.
»Einen Tag vor der Ankunft der Zugmaschine bekam ich einen Anruf«, fuhr Gorenko fort. »Jemand aus dem Stalingrader Werk hat mich über die Anforderung informiert und mir gesagt, wir sollen den Panzer für den Transport vorbereiten.«
»Haben Sie das gegenüber den Leuten in Stalingrad erwähnt?«
»Ja.«
»Und was haben sie darauf erwidert?«
»Dass niemand mit mir telefoniert hat, Inspektor.«
»Wahrscheinlich nur ein Kommunikationsproblem. Solche Fehler passieren ständig. Ist Ihnen am Laster oder dem Fahrer irgendetwas Verdächtiges aufgefallen?«
»Nein. Es war nur ein großer Lastwagen, wie Sie ihn tagtäglich sehen. Der Fahrer hat sogar Maximow gekannt.«
»Er hat ihn gekannt?«
Gorenko nickte. »Ich habe die beiden gesehen, wie sie sich unterhalten haben, nachdem der Panzer verladen war. Aber das ist mir nicht verdächtig vorgekommen. Sie sind ja beide in gewisser Weise Chauffeure und kennen sich wahrscheinlich von ihrer Arbeit, so wie sich Professoren auch durch ihre Arbeit kennen, selbst wenn sie am jeweils anderen Ende des Landes leben.«
»Der Lastwagen«, sagte Pekkala. »Ein Tieflader oder einer mit Ladepritsche?«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen, Inspektor.«
»Kam der Panzer auf einen flachen Anhänger oder auf eine Ladefläche mit geschlossenem Aufbau?«
»Ah, verstehe. Ja, ein Aufbau wie bei einem Möbelwagen, aber groß genug für einen Panzer.«
»Wie kam der Panzer hinein?«
»Der Fahrer hat ihn selbst hineingefahren. Ich hab ihm gezeigt, wie er mit der Kupplung und den Steuerhebeln umgehen muss. Es hat keine Minute gedauert, dann hatte er es raus. Jeder, der einen Traktor oder eine Planierraupe fahren kann, kann auch einen Panzer steuern. Er ist die Rampe hoch und in den Aufbau hinein.«
»Und der war verschlossen?«
»Ja, hinten mit zwei großen Metalltüren.«
»Wie hat er ausgesehen?«
»Er war rot, und auf den Seiten waren in Grün die Abzeichen des staatlichen Transportdienstes.«
Wie auf fast jedem anderen LKW auf den Fernstraßen, dachte Pekkala. »Und der Fahrer? Wie sah er aus?«
»Klein, stämmig. Schnauzer.« Gorenko zuckte mit den Schultern. »Ein freundlicher Mensch, wie mir schien.«
»Haben Sie mit Maximow darüber gesprochen? Vielleicht weiß er, wie man den Fahrer erreichen kann.«
»Habe ich versucht, aber er ist zu betrunken.«
»Besorgen Sie mir einen Kübel Wasser«, sagte Pekkala.
Einen Augenblick lang schien der silberne Bogen über dem schlafenden Maximow zu hängen, dann krachte der Wasserschwall auf sein Gesicht. Mit einem Ruck fuhr Maximow hoch, setzte sich auf und spie einen Mundvoll Wasser aus.
Pekkala schleuderte den Eimer in die entfernte Ecke des Raums, wo er laut klappernd weiterrollte.
»Mudak!«, schrie Maximow. Er klappte in der Mitte zusammen, beugte sich vor, hustete, wischte sich Wasser aus den Augen und sah finster zu Pekkala hoch. »Ich dachte, Sie lassen mich schlafen!«
»Dachte ich auch«, erwiderte Pekkala. »Aber jetzt will ich was von Ihnen erfahren.«
»Was?«
»Wie heißt der Fahrer, der den Panzer abgeholt hat?«
»Woher soll ich das wissen?«, stöhnte Maximow und strich sich die Haare aus dem Gesicht.
»Sie kennen den Fahrer. Gorenko sagt, Sie haben sich mit ihm unterhalten.«
»Er hat mich nach der Richtung gefragt. Das war alles. Warum?«
»Der Panzer ist nicht in Stalingrad angekommen.«
»Dann ist der Fahrer vielleicht nicht der schnellste.« Maximow fuhr sich über den Mund. »Was ist, Pekkala? Ist es mit der Zauberei vorbei?«
»Zauberei?« Pekkala ging vor Maximow in die Hocke. »Das alles hatte nie mit Zauberei zu tun, Maximow. Aber ich mache meine Arbeit schon lang genug, um zu wissen, wenn ich angelogen werde. Ich habe gesehen, wie sich Ihr Rücken durchbog, als ich den Panzer erwähnt habe. Ich sehe, wie Ihr Blick nach oben geht, wenn Sie mit mir reden. Ich sehe, wie Sie die Hand vor den Mund halten, und ich kann diese Zeichen deuten, so wie Sie mir sagen können, ob es regnen wird, wenn Sie sich die Wolken anschauen. Also, Maximow: Wer hat jetzt den Panzer?
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