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Der Rote Sarg

Der Rote Sarg

Titel: Der Rote Sarg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Eastland
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erwiderte der Grauhaarige. »Oberst Nagorski ist tot.«
    »Tot?«, rief Pekkala. »Was ist passiert?«
    Die beiden Männer tauschten einen unbehaglichen Blick aus und schwiegen.
    »Wo ist er?«, fragte Pekkala. »Im Panzer?«
    Es war der Grauhaarige, der schließlich zu einer Erklärung ansetzte. »Oberst Nagorski ist nicht im Panzer. Oberst Nagorski ist unter dem Panzer.«
    Sein Gefährte deutete zum Boden. »Sehen Sie selbst.«
    Neben der Gleiskette des T-34 bemerkte Pekkala jetzt einige Fingerspitzen; blasse Erhebungen, die kaum über die Wasseroberfläche ragten. Angestrengt starrte er in das trübe Wasser und entdeckte schließlich ein nur vom Knie abwärts sichtbares Bein. Am Ende der Gliedmaße, die offensichtlich zum Teil vom übrigen Körper losgerissen war, konnte Pekkala die verschwommene Gestalt eines schwarzen Schuhs erkennen. Die Nähte waren geplatzt, als wäre er mit aller Gewalt einem viel zu großen Fuß übergestülpt worden. »Das ist Nagorski?«, fragte er.
    »Was von ihm noch übrig ist«, erwiderte der Grauhaarige.
    Egal, wie viele Tote Pekkala schon zu Gesicht bekommen hatte, der erste Anblick einer Leiche traf ihn immer wieder aufs Neue. Ihm schien, als wäre seine Psyche mit der Last dieses Augenblicks schlicht überfordert, weshalb sie das Bild kurzerhand aus der Erinnerung löschte. Als Folge davon verlor die anfängliche Erschütterung nichts von ihrer Intensität.
    Pekkala verblüffte dabei nicht, wie unterschiedlich die Toten waren, sondern wie sehr sich die Leichen einander glichen, gleichgültig, ob es sich um Mann oder Frau, jung oder alt handelte, nachdem das Leben den Körper erst einmal verlassen hatte. Immer waren sie von schrecklicher Stille umgeben, hatten die gleichen trüben Augen und verströmten irgendwann den gleichen durchdringend süßlichen Geruch. Manchmal wachte er nachts auf und hatte den Gestank der Toten in der Nase. Dann taumelte er zum Waschbecken, wusch sich das Gesicht, schrubbte die Hände, bis die Knöchel bluteten, aber der Geruch blieb, als würden die Toten neben seinem Bett auf dem Boden liegen.
    Pekkala bückte sich. Vorsichtig berührte er Nagorskis Fingerspitzen, wobei sein eigener Arm das Spiegelbild desjenigen unter dem schlammtrüben Wasser bildete. Er sah Nagorski wieder vor sich, als er noch polternd und schwitzend im Verhörraum der Lubjanka gesessen hatte. Zu dem Zeitpunkt hatte ihm etwas Unbezwingbares angehaftet. Jetzt spürte Pekkala die Haut des Toten, deren Kälte in seinen eigenen Arm hineinkroch. Er zog die Hand weg und richtete sich auf. Seine Gedanken waren bereits bei dem, was anstand. »Wer sind Sie?«, fragte er die beiden Männer.
    »Ich bin Professor Uschinskij«, erklärte der Grauhaarige. »Verantwortlich für die Waffenentwicklung. Und das«, er zeigte auf den Mann im braunen Mantel, »ist Professor Gorenko.«
    »Ich bin Spezialist für den Antriebsstrang«, sagte Gorenko. Er ließ die Hände in den Taschen. Seine Schultern zitterten vor Kälte.
    »Wie ist das hier geschehen?«, fragte Pekkala.
    »Das wissen wir nicht genau.« Gorenko versuchte, den Schlamm vom Mantel zu wischen, verschmierte ihn aber nur noch mehr in der Wolle. »Am Morgen, als wir uns zur Arbeit gemeldet haben, hat Nagorski gesagt, er würde an Nummer 3 arbeiten.« Mit vor Kälte blauen Knöcheln klopfte er gegen den Panzer. »Das ist Nummer 3.«
    »Der Oberst sagte, dass er allein daran arbeiten will«, fügte Uschinskij hinzu.
    »War das ungewöhnlich?«
    »Nein«, erwiderte Uschinskij. »Der Oberst hat oft allein Erprobungsfahrten unternommen.«
    »Erprobungsfahrten? Sie meinen, der Panzer ist noch nicht fertig?«
    Beide Männer schüttelten den Kopf.
    »Wir haben sieben komplette Fahrzeuge. Jedes ist etwas anders ausgestattet, hat einen leicht modifizierten Motor und so weiter. Sie werden ständig getestet und miteinander verglichen. Irgendwann werden wir sie standardisieren. Und dann wird der T-34 in die Massenproduktion gehen. Bis dahin wollte der Oberst alles so geheim wie möglich halten.«
    »Selbst vor Ihnen?«
    »Vor allen, Inspektor«, erwiderte Gorenko. »Ohne Ausnahme.«
    »Wann haben Sie bemerkt, dass etwas nicht stimmt?«
    »Als ich aus der Hauptfertigungshalle trat.« Uschinskij deutete auf das größte Gebäude. »Wir nennen es das Eisenhaus. Dort werden sämtliche Teile für die Panzer gelagert. Da drin ist so viel Metall, dass es einen wundert, warum das ganze Gebäude noch nicht im Boden versunken ist. Bevor ich hinausging, habe ich noch

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