Der Rote Sarg
Rasputin und knöpfte sich den Mantel auf. Darunter wurde sein blutrotes Gewand und die weite schwarze Hose sichtbar, die er in die kniehohen Stiefel gestopft hatte. »Jedenfalls, bis sie mich rausgeworfen haben.«
»Was haben Sie diesmal angestellt?«, fragte Pekkala.
»Nichts!«, schrie Rasputin. »Ausnahmsweise habe ich nur dagesessen. Und dann taucht dieser verdammte Politiker auf, dieser Rodsjanko, und sagt, ich soll verschwinden. Er hat mich einen räudigen Heiden genannt!« Er hob die geballte Faust. »Das wird er mir büßen! Seine Stellung wird er nicht mehr lange behalten.« Damit sackte er auf einen Stuhl nieder.
»Was haben Sie getan, nachdem man Sie rausgeworfen hat?«
»Ich bin zur Villa Rode!«
»O nein«, murmelte Pekkala.
In die Villa Rode, ein Restaurant in Petrograd, ging Rasputin fast jeden Abend, weil er dort nicht bezahlen musste. Die Rechnungen wurden von einem anonymen Konto beglichen, das, wie Pekkala wusste, von der Zarin selbst eingerichtet worden war. Außerdem war dem Besitzer der Villa Rode ein Anbau bezahlt worden, um dort einen nur für Rasputin bestimmten Raum zu errichten. Damit verfügte Rasputin über seinen eigenen Privatclub. Der Anstoß dafür ging auf den Geheimdienst zurück, der mit der Aufgabe betraut war, Rasputin auf Tritt und Schritt zu überwachen und dafür zu sorgen, dass er nicht in Schwierigkeiten geriet. Letzteres hatte sich als unmöglich erwiesen, weshalb man auf die Idee eines sicheren Hauses verfallen war. Dort konnte er umsonst trinken, soviel er wollte, und der Geheimdienst war in der Lage, ihn besser vor jenen zu schützen, die ihn bei der nächstbesten Gelegenheit ins Jenseits befördern wollten. Es war bereits zu zwei Anschlägen gekommen: 1914 in Pokrowskoje und erneut im darauffolgenden Jahr in Zarizyn. Statt ihm Angst einzujagen, hatten diese Vorfälle Rasputin nur in der Überzeugung bestärkt, unverwundbar zu sein. Der Geheimdienst konnte ihn also vor möglichen Attentätern schützen, nie und nimmer aber vor sich selbst.
»In der Villa«, fuhr Rasputin fort, »habe ich beschlossen, eine Beschwerde gegen Rodsjanko aufzusetzen. Aber dann habe ich mir gedacht: Nein! Ich gehe gleich zur Zarin und sage ihr alles persönlich.«
»Die Villa Rode ist in Petrograd«, sagte Pekkala. »Das ist ein gutes Stück entfernt!«
»Ich bin in meinem Wagen rausgefahren.«
Die Zarin hatte Rasputin einen Wagen geschenkt, einen wunderschönen Hispano-Suiza, allerdings hatte sie vergessen, ihm auch das Fahren beizubringen.
»Und Sie meinen, sie wird Sie zu dieser Nachtzeit empfangen?«
»Natürlich«, erwiderte Rasputin. »Warum auch nicht?«
»Und, was ist? Haben Sie mit ihr gesprochen?«
»Ich bin gar nicht dazu gekommen. Das verdammte Automobil hat den falschen Weg eingeschlagen.«
»Den falschen Weg eingeschlagen?«
»Es ist gegen eine Mauer gefahren.« Er deutete hinter sich. »Irgendwo da draußen.«
»Sie haben also Ihren Wagen demoliert«, sagte Pekkala und schüttelte den Kopf bei der Vorstellung, dass der wunderbare Wagen nur noch ein Haufen Schrott war.
»Ich habe mich zu Fuß auf den Weg zum Palast gemacht, mich aber verirrt. Dann habe ich Ihr Haus gesehen, und jetzt bin ich da, Pekkala. Ihnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Ein armer Mann, der um einen Schluck zu trinken bittet.«
»Ihr Wunsch ist Ihnen schon erfüllt worden«, erwiderte Pekkala. »Und das nicht zu knapp.«
Rasputin hörte gar nicht mehr hin. Er hatte eines der Fischeier in seinem Bart entdeckt, pflückte es heraus und steckte es sich in den Mund. Er spitzte die Lippen, während er es im Mund hin- und herrollen ließ. Plötzlich hellte sich seine Miene auf. »Ach! Ich sehe, Sie haben schon Gesellschaft. Guten Abend, Frau Lehrerin.«
Pekkala drehte sich um. Ilja war in der Tür zum Schlafzimmer erschienen. Sie trug eines seiner grauen Hemden, die er immer zum Dienst anzog, und hatte die Arme verschränkt. Die Ärmel, ohne die Manschetten, hingen ihr weit über die Hände.
»Welch eine Schönheit!«, seufzte Rasputin. »Wenn Ihre Schülerinnen Sie jetzt sehen könnten!«
»Meine Schülerinnen sind sechs Jahre alt«, erwiderte Ilja.
Er drohte ihr mit dem Finger, dann ließ er beide Hände schlaff auf die Stuhllehnen sinken. »Man kann nicht früh genug erfahren, wie die Welt beschaffen ist.«
»Jedes Mal, wenn ich versucht bin, anderen gegenüber ein gutes Wort für Sie einzulegen«, erwiderte Ilja, »sagen Sie Sachen wie diese.«
Erneut seufzte Rasputin. »Sollen
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