Der Rote Sarg
sich die Leute ruhig das Maul über mich zerreißen.«
»Haben Sie wirklich Ihren Wagen zu Schrott gefahren, Grigori?«, fragte sie.
»Mein Wagen hat sich von allein zu Schrott gefahren«, antwortete Rasputin.
»Wie schaffen Sie es nur«, fragte Ilja, »dass Sie so oft betrunken sind?«
»Es hilft mir, die Welt zu verstehen. Es hilft auch der Welt, mich zu verstehen. Manche Menschen sind vernünftig, wenn sie nüchtern sind. Manche sind vernünftig, wenn sie es nicht sind.«
»Sie sprechen immer in Rätseln.« Ilja lächelte ihn an.
»Nicht in Rätseln, schöne Frau. Ich sage unglücklicherweise nur die Wahrheit.« Seine Lider flatterten. Er war kurz vor dem Einschlafen.
»O nein, nicht«, entfuhr es Pekkala. Er packte den Stuhl und riss ihn herum, so dass sich die beiden Männer ins Gesicht sahen.
Rasputin kniff die Augen zu und schnappte nach Luft.
»Was habe ich gehört?«, fragte Pekkala. »Sie hätten der Zarin geraten, mich loszuwerden?«
»Was?« Rasputin schlug ein Auge auf.
»Sie haben mich schon verstanden«, sagte Pekkala.
»Wer hat Ihnen das gesagt?«
»Das muss Sie nicht interessieren.«
»Es ist die Zarin, die Sie loswerden möchte«, sagte Rasputin, der plötzlich keineswegs mehr betrunken wirkte. »Ich mag Sie, Pekkala, aber ich kann in diesem Fall nichts tun.«
»Und warum nicht?«
»Ich will Ihnen sagen, wie es funktioniert«, erklärte Rasputin. »Die Zarin stellt mir eine Frage. Durch die Art und Weise, wie sie ihre Frage stellt, weiß ich, ob sie ein Ja oder ein Nein hören will. Und wenn ich ihr sage, was sie hören will, ist sie glücklich. Ihre Idee wird also zu meiner Idee, und sie läuft zum Zaren oder zu ihrer Freundin Wyrubowa oder zu wem auch immer und sagt, dass ich das gesagt hätte. Was sie aber nie sagt, ist, dass es doch ursprünglich ihre eigene Idee gewesen ist. Sie sehen, Pekkala, die Zarin liebt mich, weil ich genau das bin, was sie braucht – so wie Sie genau das sind, was der Zar braucht. Sie braucht mich, damit sie das Gefühl hat, recht zu haben, und er braucht Sie, damit er sich sicher fühlen kann. Es gibt noch viele andere wie uns, die alle mit einer anderen Aufgabe betraut sind – Ermittler, Liebhaber, Attentäter, und keiner weiß vom anderen. Nur der Zar kennt uns alle. Wenn man Ihnen also gesagt hat, dass ich Sie loswerden möchte, dann kann ich nur sagen: Ja, das stimmt.« Unsicher erhob er sich vom Stuhl und stand wankend vor Pekkala. »Aber es stimmt nur, weil zuvor die Zarin diesen Wunsch gehegt hat.«
»Grigori, ich denke, Sie haben genug gepredigt.«
Rasputin lächelte. »Gute Nacht, Pekkala.« Dann winkte er Ilja zu, als stünde sie in weiter Ferne und nicht nur in der gegenüberliegenden Tür. Ein Armband schimmerte an seinem Handgelenk. Es bestand aus Platin, darauf war das kaiserliche Wappen eingraviert: ein weiteres Geschenk der Zarin. »Und gute Nacht, schöne Frau, deren Namen ich vergessen habe.«
»Ilja«, sagte sie, weniger entrüstet als bedauernd.
»Gute Nacht, schöne Ilja.« Rasputin breitete die Arme aus und verbeugte sich so tief, dass ihm seine fettigen Haare wie ein Vorhang vors Gesicht fielen.
»Sie können jetzt nicht da raus«, sagte Pekkala. »Draußen herrscht immer noch Schneetreiben.«
»Aber ich muss«, erwiderte Rasputin. »Ich muss noch zu einem Fest. Fürst Jussupow hat mich eingeladen. Es gibt Kuchen und Wein, hat er versprochen.«
Damit war er verschwunden, nur der Geruch von Schweiß und eingelegten Zwiebeln blieb zurück.
Ilja trat in den vorderen Raum. Sie war barfuß und wich den matschigen Pfützen aus, die Rasputins Stiefel hinterlassen hatten. »Jedes Mal, wenn ich ihn sehe, ist er betrunken«, sagte sie und umarmte Pekkala.
»Aber er ist nie so betrunken, wie es scheint«, erwiderte Pekkala.
Zwei Tage später traf Pekkala gerade noch rechtzeitig in Petrograd ein, um mitzuerleben, wie Rasputins Leichnam in der Nähe der Insel Krestowski aus der Newa gefischt wurde. Die Leiche war in einen Teppich eingerollt und unter das Eis geschoben worden.
Kurz darauf verhaftete Pekkala den Fürsten Jussupow, der schnell den Mord an Rasputin gestand. Zusammen mit dem Sanitätsarzt Lasowert und dem Großherzog Dimitri Pawlowitsch, dem Lieblingsneffen des Zaren, hatte Jussupow versucht, Rasputin durch mit Zyankali versetzten Kuchen umzubringen. Das Gift in jedem Kuchenstück hätte ausgereicht, um ein halbes Dutzend Männer zu töten. Rasputin aß drei Stück davon, schien aber nichts zu spüren. Dann gab
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