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Der Rote Sarg

Der Rote Sarg

Titel: Der Rote Sarg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Eastland
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Stift zur Hand und schlug damit rhythmisch gegen einen Stapel ungelesener Dokumente.
    Es war Herbst 1916. Der Zar hatte den Oberbefehl über das Militär übernommen und verbrachte mittlerweile die meiste Zeit hinter dem Palisadenzaun des Hauptquartiers in Mogilew.
    Die russische Armee mochte zwar unter dem direkten Befehl des Zaren stehen, dennoch musste sie auf den Schlachtfeldern weiterhin vernichtende Niederlagen hinnehmen.
    Die Schuld dafür wurde ebenso sehr der Zarin wie dem Zaren zugeschrieben. Es waren sogar Gerüchte laut geworden, dass die Zarin ohne Wissen des russischen Oberkommandos geheime Friedensverhandlungen mit dem Deutschen Reich aufgenommen habe, wobei ihre deutschen Verwandten als Vermittler fungierten. Diese Gerüchte bedrohten die Glaubwürdigkeit des Zaren als Oberbefehlshaber des Militärs.
    Bei einem seiner seltenen Besuche in Petrograd hatte der Zar Pekkala in den Palast befohlen und angeordnet, er möge nachprüfen, ob an den Gerüchten etwas dran sei.
    Von Anfang an war Pekkala klar, dass etwas nicht stimmte. Die Einzelheiten der Untersuchung sollten geheim bleiben, trotzdem hatte der Zar öffentlich bekanntgemacht, dass er eine Untersuchung anberaumt habe. Meldungen über Pekkalas Arbeit erschienen sogar in den Zeitungen, was der Zar nur äußerst selten gestattete.
    Pekkala brauchte nicht lange, um herauszufinden, dass die Gerüchte tatsächlich der Wahrheit entsprachen. Die Zarin hatte über einen Mittelsmann in Schweden Kontakt mit ihrem Bruder aufgenommen, dem Großherzog von Hessen, der hochrangiger Offizier in der deutschen Armee war. Irgendwann im Februar 1916 hatte, wie Pekkala mutmaßte, ein Besuch des Großherzogs stattgefunden.
    Pekkala war von alldem wenig überrascht. Die Zarin überhäufte ihren Gatten in Mogilew mit Briefen, in denen sie darauf bestand, dass Rasputins militärischen Ratschlägen Folge zu leisten und jeder, der sich dagegenstelle, mit sofortiger Wirkung zu entlassen sei.
    Was Pekkala überraschte, war die Tatsache, dass der Zar vom Besuch des Großherzogs gewusst hatte. Nikolaus hatte sich sogar mit dem Bruder der Zarin getroffen, wahrscheinlich sogar im selben Zimmer, in dem sich Pekkala und der Zar jetzt befanden.
    Nachdem Pekkala seine Untersuchung abgeschlossen hatte, lieferte er seinen Bericht ab. Er unterschlug nichts und erwähnte auch die Fakten, die den Zaren selbst belasteten. Daraufhin löste Pekkala das Smaragdauge von der Rückseite seines Revers und legte es dem Zaren auf den Schreibtisch. Dann nahm er seinen Webley-Revolver und legte ihn neben das Abzeichen.
    »Was soll das?«, fragte der Zar.
    »Ich biete meinen Rücktritt an.«
    »Ach, kommen Sie, Pekkala«, sagte der Zar, warf seinen Stift in die Luft und fing ihn auf. »Versuchen Sie, es aus meiner Perspektive zu sehen. Ja, ich gebe zu, wir haben über einen möglichen Waffenstillstand gesprochen. Und, ja, wir haben es im Geheimen getan, ohne Wissen des russischen Oberkommandos. Aber, verdammt noch mal, Pekkala, es gibt keinen Waffenstillstand! Die Verhandlungen sind im Sande verlaufen. Ich wusste, das russische Volk will eine Antwort auf die Frage, ob diese Gerüchte stimmen. Deshalb habe ich Sie darauf angesetzt – um das Volk zu beruhigen. Die Sache ist bloß, Pekkala, die Antworten, die das Volk hören will, sind nicht die, die Sie finden würden.«
    »Und was, Exzellenz, soll ich jetzt mit den von mir gesammelten Informationen machen?«
    »Sie sollen«, erwiderte der Zar und klopfte mit seinem Stift gegen Pekkalas Revolver, »zu Ihrer Arbeit zurückkehren und diese ganze Untersuchung vergessen.«
    »Exzellenz«, sagte Pekkala, der nur mit Mühe an sich halten konnte, »Sie beschäftigen mich nicht, damit ich Sie mit Illusionen versorge.«
    »Ganz richtig, Pekkala. Sie liefern mir die Wahrheit, und ich entscheide, wie viel davon das russische Volk vertragen kann.«

P ekkala fragte sich bereits, ob Stalin ihn den ganzen Tag würde warten lassen. Zum Zeitvertreib wippte er auf den Fußballen vor und zurück und ließ den Blick über die Wand hinter dem Schreibtisch schweifen. Von früheren Besuchen wusste er, dass in der Holztäfelung eine geheime Tür eingelassen war, die man erst bemerkte, wenn sie geöffnet wurde. Hinter ihr lag ein niedriger, schmaler Gang, beleuchtet von winzigen Glühbirnen, die kaum größer waren als der Daumen eines Mannes. Der Boden war mit dickem Teppich ausgelegt, so dass man sich darin lautlos bewegen konnte. Wohin dieser Gang führte, wusste Pekkala

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