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Der Rote Sarg

Der Rote Sarg

Titel: Der Rote Sarg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Eastland
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Kirow es als mangelndes Vertrauen auffassen würde, sollte er sich jetzt auf die Suche nach ihm begeben.
    Also wartete er weiter im Büro, auch, als sich bereits die abendlichen Schatten ins Zimmer legten. Bald darauf saß er in vollkommener Finsternis. Mittlerweile wäre es sinnlos gewesen, wenn er sich noch auf den Nachhauseweg gemacht hätte, also legte er die Füße auf den Schreibtisch, faltete die Hände auf dem Bauch und versuchte zu schlafen.
    Es gelang ihm nicht, also lief er auf und ab und betrachtete Kirows Topfpflanzen. Hin und wieder blieb er stehen, pflückte sich eine Kirschtomate oder kaute auf einem Basilikumblatt herum.
    Schließlich, als es nur noch eine Stunde bis Sonnenaufgang war, zog Pekkala den Mantel an, verließ das Gebäude und schlug den Weg zu Kirows Wohnung ein.
    Es war ein langer Weg, fast eine Stunde ging er durch die gewundenen Straßen. Er hätte die Strecke in zehn Minuten mit der U-Bahn zurücklegen können, aber Pekkala zog den oberirdischen Weg vor – trotz der Tatsache, dass es keine verlässlichen Straßenkarten gab. Die einzigen verfügbaren Karten zeigten Moskau entweder vor der Revolution oder wie die Stadt aussehen sollte, wenn alle Neubauprojekte abgeschlossen wären. Die meisten davon waren noch nicht einmal begonnen worden, und so gab es auf diesen Karten ganze Straßenzüge, die keinerlei Ähnlichkeit mit dem hatten, was tatsächlich an Gebäuden noch stand. Viele Straßen waren umbenannt worden, genau wie viele Städte im Land. Petrograd hieß jetzt Leningrad, aus Zarizyn war Stalingrad geworden. Wie die Moskowiter sagten: Alles ist anders, aber eigentlich hat sich nichts geändert.
    Pekkala ging gerade am Gorki-Park entlang, als ein Wagen, ein schwarzer GAZ-M1, neben ihm hielt. Er war noch nicht ganz zum Halt gekommen, als die Beifahrertür aufflog und ein Mann heraussprang.
    Ohne nachzudenken, zog Pekkala seinen Revolver.
    Im nächsten Moment sah der Mann in den Lauf von Pekkalas Waffe.
    Der Mann trug eine Nickelbrille, die auf einer langen, dünnen Nase saß. Seine Bartstoppeln legten einen bläulichen Schatten über die teigige Haut. Das Gesicht hatte für Pekkala etwas von einer Ratte.
    Die wütende Entschlossenheit, die sich eben noch in der Miene des Mannes abgezeichnet hatte, verwandelte sich in ungläubiges Erstaunen. Langsam hob er die Hände. »Das werden Sie bereuen, Genosse«, sagte er leise.
    Erst jetzt bekam Pekkala ihn richtig zu sehen. Trotz der Zivilkleidung wusste Pekkala sofort, dass der andere zum NKWD gehörte. Es war seiner Haltung und seinem Blick abzulesen, der offensichtlichen Geringschätzung, die er allen anderen entgegenbrachte. Pekkala war so um Kirow und die Möglichkeit besorgt gewesen, er könnte willkürlich verhaftet worden sein, dass ihm niemals der Gedanke gekommen war, ihm könnte das Gleiche widerfahren. »Was wollen Sie?«, fragte er.
    »Nehmen Sie die Waffe runter!«, blaffte der andere.
    »Antworten Sie auf meine Frage«, erwiderte Pekkala ruhig, »wenn Ihr Gehirn im Schädel bleiben soll.«
    »Sind Sie berechtigt, dieses altertümliche Teil zu tragen?«
    Pekkala legte den Daumen auf den Hammer und zog ihn zurück, bis er gespannt war. »Ich bin sogar berechtigt, ihn einzusetzen«, sagte er.
    Der andere zog die rechte Schulter hoch und ließ eine Waffe sehen, die unter der Achsel in einem Holster steckte. »Sie sind nicht der Einzige mit einer Waffe.«
    »Nur zu«, erwiderte Pekkala, »dann sehen wir ja, was passiert.«
    »Zeigen Sie mir doch einfach Ihre Papiere!«
    Ohne den Webley zu senken, griff Pekkala in den Mantel, holte seinen Pass heraus und hielt ihn dem anderen hin.
    »Sie gehören zum NKWD?«, fragte dieser.
    »Sehen Sie doch selbst!«
    Langsam nahm das Rattengesicht den Pass entgegen und schlug ihn auf.
    »Was dauert denn da so lange?«, war eine Stimme zu hören. Der Fahrer des Wagens stieg aus. »Swoloch!«, rief er, als er Pekkalas Revolver sah, und zog seine eigene Waffe.
    »Lassen Sie das!«, sagte Pekkala.
    Aber es war zu spät. Die Tokarew des Fahrers war bereits auf Pekkala gerichtet.
    Pekkala hielt seinen Webley weiterhin auf das Rattengesicht gerichtet.
    Eine Weile standen die drei nur da.
    »Beruhigen wir uns und schauen uns an, was wir hier haben«, sagte das Rattengesicht schließlich und inspizierte Pekkalas Pass genauer.
    Es folgte ein langes Schweigen.
    »Was ist?«, fragte der Fahrer, der seine Pistole nach wie vor auf Pekkala gerichtet hatte. »Was zum Teufel ist los?«
    Das Rattengesicht

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