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Der Rote Sarg

Der Rote Sarg

Titel: Der Rote Sarg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Eastland
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hingen Dutzende von Auszeichnungen von kommunistischen Jugendorganisationen. Kirow sammelte sie seit seinem fünften Lebensjahr, als er einen Preis für eine Woche Kommunalarbeit bei den Jungen Pionieren gewonnen hatte. Danach hatte er Preise für den ersten Platz bei einem Orientierungslauf, den ersten Platz bei naturwissenschaftlichen Experimenten, den ersten Platz beim Zeltaufschlagen gewonnen. Jede Auszeichnung war mit Hammer und Sichel versehen, umringt von zwei Weizengarben. Manche waren in gekünstelt schwungvoller Handschrift verfasst, auf anderen fand sich nur Gekritzel. Aber alle waren gerahmt und bedeckten nun fast jeden freien Fleck der Wohnung. »Was machen Sie denn hier?«, fragte Kirow.
    »Guten Morgen auch«, erwiderte Pekkala. »Ziehen Sie sich an. Wir müssen los.«
    »Wohin?«
    Pekkala hielt den Zettel hoch, den Lysenkowa ihm gegeben hatte. »Mit den Wissenschaftlern der Anlage reden. Vielleicht können die das entziffern. Möglicherweise gibt es eine Verbindung zwischen den Formeln und unserem Flüchtenden. Solange wir das hier aber nicht verstehen, wissen wir es nicht.«
    »Wer ist da?«, war eine Frauenstimme aus der Wohnung zu hören. »Ist das Inspektor Pekkala?«
    Kirow seufzte schwer. »Ja.«
    »Deshalb sind Sie also nicht mehr gekommen!«, polterte Pekkala los. »Verdammt, Kirow, und ich dachte schon, Sie wären verhaftet worden!«
    »Verhaftet? Weswegen denn?«, fragte Kirow.
    »Spielt jetzt keine Rolle!«
    »Willst du ihn nicht reinlassen?«, fragte die Frau.
    Pekkala spähte hinein. »Major Lysenkowa?«
    »Guten Morgen, Inspektor.« Sie saß, in ein Handtuch gewickelt, am Küchentisch.
    Pekkala warf Kirow einen vernichtenden Blick zu.
    Lysenkowa stand vom Tisch auf und kam barfuß auf sie zu. Erst jetzt wurde Pekkala bewusst, dass sie unter dem Handtuch nichts anhatte. »Major Kirow hat mir schon die guten Neuigkeiten mitgeteilt«, sagte sie.
    »Gute Neuigkeiten?«, fragte Pekkala.
    »Dass Sie mich weiterhin in dem Fall ermitteln lassen«, erklärte sie. »Ich habe mich schon an die Arbeit gemacht.«
    Pekkala murmelte Unverständliches.
    »Ich habe einiges herausgefunden«, sagte sie.
    »Ja? Und was haben Sie herausgefunden?«
    »Es gibt die Weiße Gilde nicht mehr.«
    »Es gibt sie nicht mehr?«, entfuhr es Pekkala.
    »Aus und vorbei. Vor ein paar Wochen ist sie vollständig aufgelöst worden. Sämtlichen Agenten wurden andere Aufgaben zugeteilt.«
    »Meinen Sie, Sie könnten herausfinden, was sie jetzt machen?«
    »Ich kann es versuchen«, sagte sie. »Ich fange sofort damit an, sobald ich im NKWD-Hauptquartier bin.«
    Zehn Minuten später hielt der Emka am Randstein. Kirow saß hinter dem Steuer, seine nassen Haare waren ordentlich gekämmt.
    Pekkala stieg ein und knallte die Tür zu. »Zum Kreml«, sagte er.
    »Aber ich dachte, wir reden mit den Wissenschaftlern der Anlage.«
    »Ich muss vorher noch was erledigen«, erwiderte Pekkala.
    Kirow fuhr los. »Ich habe etwas zu essen mitgebracht«, sagte er, »falls wir den ganzen Tag unterwegs sind.«
    Pekkala starrte hinaus. Einzelne Sonnenstrahlen fielen auf sein Gesicht.
    »Ihrem Verhalten entnehme ich, dass Sie es missbilligen, Inspektor«, sagte Kirow.
    »Was?«
    »Die Sache mit mir … und Major Lysenkowa.«
    »Solange die Ermittlungen darunter nicht leiden, Kirow, steht es mir nicht zu, irgendwas darüber zu sagen. Schließlich würden meine eigenen Versuche auf diesem Gebiet jeder Vernunft spotten.«
    »Aber Sie missbilligen es. Ich sehe es Ihnen an.«
    »Ich kann Ihnen nur diesen Rat geben: Tun Sie nur, womit Sie später auch leben können. Je weiter Sie über diesen Punkt hinausgehen, umso schwieriger wird es, zurückzukehren.«
    »Und wie weit sind Sie gegangen, Inspektor?«
    »Wenn ich jemals zurückkehren sollte«, erwiderte Pekkala, »werde ich es Ihnen bestimmt mitteilen.«

    »Ich kann jetzt nicht reden, Pekkala«, brummte Stalin und erhob sich von seinem Schreibtisch. »Ich bin auf dem Weg zur Tagesbesprechung. Die Deutschen sind in die Tschechoslowakei einmarschiert, genau, wie ich Ihnen gesagt habe. Und wir haben den T-34 immer noch nicht.«
    »Genosse Stalin, ich habe eine äußerst wichtige Frage an Sie.«
    Stalin drückte gegen das Holzpaneel, und die Geheimtür schwang auf. »Gut, dann kommen Sie mit!«
    »Da rein?«, fragte Pekkala. Sofort spürte er, wie sich alles in ihm zusammenzog.
    »Ja. Hier rein! Kommen Sie schon!«
    Er folgte Stalin in den Geheimgang. Sein Magen revoltierte, als er gebückt in den engen,

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