Der Rote Sarg
finsteren Tunnel trat.
Als sie beide drin waren, betätigte Stalin einen Eisenhebel, worauf die Tür lautlos zuschwang.
Eine Glühbirnenreihe beleuchtete den Gang und verlor sich irgendwo in der Dunkelheit.
Kaum war die Tür geschlossen, setzte sich Stalin auch schon in Bewegung. Pekkala hatte zu tun, um mit ihm Schritt zu halten, und musste schmerzhaft gebückt gehen, damit er sich nicht den Kopf an den Holzsparren anschlug, die sich in regelmäßigen Abständen über die Decke zogen.
Türen tauchten im fahlen Licht auf, die alle mit einem Hebel zum Öffnen und Schließen versehen waren. Eine gelbe Beschriftung verwies jeweils auf den Raum, zu dem sie führten. Es roch nach Staub, hin und wieder waren hinter den Wänden leise Stimmen zu hören.
Pekkala war der Panik nahe. Die niedrige Decke schien auf ihn herabzustürzen. Er bemühte sich, ruhig zu atmen, bei jeder Tür musste er sich mit aller Macht zwingen, sie nicht einfach aufzureißen und hinauszustürzen.
Sie erreichten eine Weggabelung. Pekkala warf einen Blick in die von den hintereinander aufgereihten Glühbirnen beleuchteten Tunnel, die tief ins Herz des Kreml führten.
Stalin bog nach rechts und stieg eine Treppe hinauf. Auf halber Höhe blieb er stehen und holte kurz Luft. Pekkala wäre fast in ihn hineingelaufen.
»Also, Pekkala«, schnaufte Stalin, »wollen Sie mir jetzt Ihre Frage stellen oder mich nur begleiten?«
»Die Weiße Gilde gibt es nicht mehr«, sagte Pekkala.
»Das klingt kaum wie eine Frage.«
»Stimmt es? Wurde die Weiße Gilde aufgelöst?«
»Ja«, antwortete Stalin. »Die Operation ist beendet.«
»Und den Agenten wurden andere Aufgaben zugewiesen?«
»Offiziell ja.«
»Offiziell? Was soll das heißen?«
Diesmal gab Stalin keine Antwort. Er drehte sich um und stieg weiter die Treppe hoch. Oben schloss sich ein weiterer Gang an, der Boden war mit dunkelgrünen, in der Mitte ausgetretenen Teppichen belegt.
»Wo sind die Agenten?«, fragte Pekkala.
»Tot«, erwiderte Stalin.
»Was? Alle?« Gurgelndes Wasser rauschte nah an Pekkalas Ohr vorbei.
»Vergangenen Monat sind die sechs Agenten in einer einzigen Nacht in ihren Wohnungen in unterschiedlichen Stadtteilen aufgespürt worden. Es war das Werk von Profis. Jeder wurde durch einen Genickschuss hingerichtet.«
»Gibt es irgendwelche Verdächtigen?«
Stalin schüttelte den Kopf. »Einer der Agenten schrieb in seinem letzten Bericht, dass er von einigen Leuten kontaktiert wurde, die der Gilde beitreten wollten. Eine Woche später waren die Agenten tot. Die Namen dieser Leute stellten sich als gefälscht heraus.«
»Diese Unbekannten«, sagte Pekkala, »müssen also herausgefunden haben, dass die Weiße Gilde vom Büro für besondere Operationen gesteuert wurde. Sie müssen die Agenten ausfindig gemacht und getötet haben.«
»Genau.«
»Was ich nicht verstehe, Genosse Stalin – warum meinen Sie, die Weiße Gilde hätte etwas mit Nagorskis Tod zu tun, nachdem Sie eben selbst gesagt haben, dass die Gilde aufgelöst wurde?«
»Die Gilde wurde von mir aufgelöst«, sagte Stalin, »aber ich fürchte, sie ist reaktiviert worden. Die Gilde war einmal als Falle gedacht, um feindliche Agenten anzulocken, aber genau diese Leute setzen sie jetzt gegen uns ein. Ich gehe davon aus, dass Sie in ihren Reihen Nagorskis Mörder finden werden.«
»Warum haben Sie mir nichts davon erzählt, Genosse Stalin?«
Stalin betätigte den flach an der Wand angebrachten Hebel. Die Tür schwang auf.
Dahinter lag ein Raum, an dessen Stirnseite eine riesige Karte der Sowjetunion zu erkennen war. Die schweren roten Samtvorhänge an den Fenstern waren zugezogen. Pekkala hatte diesen Raum noch nie gesehen. Männer in Militäruniformen saßen um einen Tisch, an dessen Kopfende ein leerer Stuhl wartete. Gemurmel erfüllte den Raum, doch als die Tür aufschwang, wurde es schlagartig still. Alle Männer sahen zu der Öffnung, aus der gleich Stalin auftauchen würde.
Bevor er eintrat, wandte er sich an Pekkala. »Ich habe nichts davon erzählt«, sagte er leise, »weil ich gehofft habe, dass ich mich irre. Das scheint jedoch nicht der Fall zu sein, deshalb erzähle ich es Ihnen jetzt.« Damit trat er in den Raum, gleich danach schloss sich hinter ihm leise die Tür.
Pekkala war allein im Gang. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wo er sich befand.
Er kehrte zur Treppe zurück und stieg sie hinunter bis zur Weggabelung. Noch bevor er sie erreichen konnte, gingen alle Lichter aus. Es musste ein Art
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