Der Rote Sarg
Zeit«, antwortete sie. »Mehr als ein Jahr.«
»Und wie hat Ihr Mann es herausgefunden?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Er wollte es mir nicht sagen. Aber zu dem Zeitpunkt spielte es schon keine Rolle mehr.«
»Mit wem hatten Sie die Affäre?«, fragte Pekkala.
»Ist das wirklich nötig, Inspektor?«
»Ja, Frau Nagorskaja. Ich fürchte schon.«
»Er heißt Lew Zalka.«
»Zalka!«
»Das klingt, als würden Sie ihn kennen.«
»Ich habe heute Morgen mit ihm gesprochen«, erwiderte Pekkala. »Er hat mir nichts von einer Affäre erzählt.«
»Hätten Sie so etwas erwähnt, wenn Sie das Thema auch hätten vermeiden können, Inspektor?«
»Hat er deswegen nicht mehr am Projekt gearbeitet?«
»Ja. Es gab noch andere Gründe, kleinere Unstimmigkeiten, die man hätte einrenken können, aber damit war es dann endgültig aus zwischen den beiden. Mein Mann hat sich nachher sogar verbeten, dass Zalkas Name in der Fabrik erwähnt wird. Die anderen Mitarbeiter wussten gar nicht, was vorgefallen war. Sie gingen von Meinungsverschiedenheiten bezüglich des Projekts aus.«
»Und was ist mit Konstantin? Weiß er davon?«
»Nein«, erwiderte sie. »Ich habe meinen Mann gebeten, nichts davon zu erwähnen, bis das Projekt abgeschlossen ist. Dann würden wir in die Stadt zurückkehren, und jeder würde sich eine eigene Wohnung suchen. Konstantin würde am Moskauer Physik- und Technikinstitut studieren und in einem Wohnheim leben, er könnte dann mich oder seinen Vater besuchen, wann immer er wollte.«
»Und Ihr Mann hat sich einverstanden erklärt?«
»Er hat mir jedenfalls nicht gesagt, dass er nicht einverstanden sei. Unter den gegebenen Umständen konnte ich nicht mehr erwarten.«
»Heute Morgen«, sagte Pekkala, »haben mein Assistent und ich Zalka von der Liste der Verdächtigen gestrichen. Nach allem, was Sie mir jetzt erzählen, bin ich mir dessen nicht mehr so sicher.«
»Wollen Sie mich fragen, ob ich glaube, dass Lew meinen Mann umgebracht hat?«
»Oder den Mord vielleicht in Auftrag gegeben hat?«
»Wenn Sie Lew Zalka kennen würden, kämen Sie nie und nimmer auf einen solchen Gedanken.«
»Warum nicht?«
»Weil Lew meinen Mann niemals gehasst hat. Wenn Lew jemanden hasst, dann sich selbst. Vom ersten Tag unserer Beziehung an wusste ich, dass dieser Selbsthass ihn zerstört.«
»Trotzdem hat Ihre Beziehung über ein Jahr gehalten?«
»Weil er mich geliebt hat, Inspektor Pekkala. Und weil ich ihn auch geliebt habe. In gewissem Sinne tue ich es noch immer. Ich war nie stark genug, um einen klaren Schlussstrich unter unsere Beziehung zu ziehen. Das war meine große Schwäche und auch die von Lew. Ich war beinahe erleichtert, als mein Mann dahinterkam. Und dass Lew sich jetzt diesen medizinischen Experimenten aussetzt, geschieht einzig und allein aus Schuldgefühlen. Natürlich sagt er Ihnen, dass es seiner Forschungsarbeit dient, im Grunde aber blutet er sich zu Tode.«
»Haben Sie noch Kontakt zu ihm?«
»Nein«, sagte sie. »Wir können nicht so tun, als wären wir nur gute Bekannte.«
Die Hintertür war zu hören. Sie wurde geöffnet und kurz darauf geschlossen.
Pekkala drehte sich um.
Konstantin stand in der Küche. In der Hand hielt er einen Eisenring, an dem drei Forellen an ihren Kiemen aufgespießt waren.
»Mein Lieber«, sagte Nagorskaja. »Inspektor Pekkala ist hier.«
»Mir wäre es lieber, wenn Sie uns in Ruhe lassen würden, Inspektor«, sagte Konstantin und legte die Fische auf die Küchentheke.
»Ich wollte sowieso gerade gehen«, sagte Pekkala und stand auf.
»Der Inspektor sucht die Pistole deines Vaters«, sagte Nagorskaja.
»Deine Mutter sagt, er hatte sie immer auf seinem Nachttisch liegen«, fügte Pekkala noch hinzu, »oder in seiner Tasche. Hast du die Pistole irgendwo gesehen?«
»Ich habe die Pistole kaum zu Gesicht bekommen«, antwortete der Junge, »weil ich meinen Vater kaum zu Gesicht bekommen habe.«
Pekkala wandte sich Nagorskaja zu. »Ich verlasse mich auf Sie, dass Sie das Haus durchsuchen. Sollte die Pistole auftauchen, wäre es schön, wenn Sie mich umgehend in Kenntnis setzen.«
Draußen vor dem Haus gaben sie sich die Hand. »Ich möchte mich für Konstantin entschuldigen, er sollte so nicht mit Ihnen reden«, sagte sie. »Ich bin es, auf die er wütend ist. Aber das will er sich noch nicht eingestehen.«
Es war schon spät, als Pekkala ins Büro zurückkehrte. Er hatte einen Umweg in Kauf genommen, um den Emka noch aufzutanken, und
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