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Der Rote Sarg

Der Rote Sarg

Titel: Der Rote Sarg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Eastland
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nicht so. Ist Ihnen klar, wie sehr ich glauben möchte, dass Sie recht haben – dass diese Menschen wirklich durch unglückliche Umstände starben? Sie verfolgen mich. Ich werde ihre Gesichter nicht los. Aber wenn ich glaube, dass es nur ein schreckliches Unglück war, Pekkala, was ist dann mit all dem anderen, das sich an jenem Tag ereignet hat? Entweder hat Gott bei unseren Angelegenheiten die Hand im Spiel oder eben nicht. Ich kann es mir doch nicht nach Gutdünken aussuchen und mich für das entscheiden, was mir am meisten zusagt!«
    Pekkala sah, wie sehr ihn die Frage quälte. »Sowenig sich die Zwetschge ihren Geschmack aussuchen kann, Exzellenz.«
    Jetzt lächelte der Zar. »Das werde ich mir merken«, sagte er und warf Pekkala die Flasche zu.
    Diese Flasche hatte Pekkala fünf Jahre später bei sich, als er auf der Flucht vor der Revolution an der Grenze von bolschewistischen Garden verhaftet wurde. Sein Abzeichen und sein Revolver wurden ihm später zurückgegeben, die Flasche allerdings war irgendwann verlorengegangen.
    Seit dieser Begegnung im fahlen Abendlicht des Alexanderparks hatte der Sliwowitz für Pekkala eine beinahe heilige Bedeutung. In einer Welt, in der er aufgrund des Schattenpasses nahezu alles tun konnte, was er wollte, erinnerte ihn der Geschmack reifer Zwetschgen an all das, was sich seiner Kontrolle entzog.

A m späten Abend, als Pekkala auf dem Bett saß und in seiner Kalevala las, klingelte das Telefon am Ende des Flurs. Es gab pro Stockwerk ein Telefon, aber da ihn hier sowieso nie jemand anrief, sah er noch nicht einmal von seinem Buch auf. Er hörte, wie die Tür zu Babajagas Wohnung geöffnet wurde, gleich darauf ertönten Talias leichte Schritte, als sie zum Telefon raste.
    Keiner stand gern auf, um ans Telefon zu gehen, schon gar nicht zu so später Stunde. Daher hatte es sich eingebürgert, dass Talia ranging und dem Betreffenden Bescheid gab. Im Gegenzug erhielt das Kind ein kleines Geschenk, vorzugsweise Zuckerbonbons.
    Erneut waren die tapsenden Schritte zu hören, dann klopfte Talia zu Pekkalas Überraschung an seine Tür. »Inspektor!«, rief sie. »Es ist für Sie.«
    Hastig sah sich Pekkala nach etwas um, was er Talia schenken könnte. Als er nichts fand, stand er auf, wühlte in seinen Taschen und betrachtete das Kleingeld.
    »Inspektor?«, rief Talia. »Sind Sie da?«
    »Ja«, beeilte er sich zu antworten. »Ich komme gleich.«
    »Suchen Sie ein Geschenk für mich?«, fragte sie.
    »Genau.«
    »Dann können Sie sich ruhig Zeit lassen.«
    Kurz darauf öffnete er die Tür, und sie schnappte sich die Münze aus seiner Hand.
    »Kommen Sie, Inspektor!«, drängte sie.
    Erst als er den Hörer zur Hand nahm, fragte er sich, wer ihn um diese Zeit anrufen konnte.
    »Inspektor?«, war eine Frauenstimme zu hören. »Sind Sie das?«
    »Hier ist Pekkala. Mit wem spreche ich?«
    »Jelena Nagorskaja.«
    »Oh!«, entfuhr es ihm. »Alles in Ordnung?«
    »Nein, Inspektor. Ich glaube nicht.«
    »Was ist los, Frau Nagorskaja?«
    »Konstantin hat erfahren, dass mein Mann und ich uns trennen wollten.«
    »Wie hat er es erfahren?«
    »Von Maximow. Er hat es ihm erzählt.«
    »Wie kommt er dazu?«
    »Das weiß ich nicht. Er ist heute Abend hier aufgetaucht. Maximow hat sich in den Kopf gesetzt, dass er mich heiraten will.«
    »Heiraten? Ist das sein Ernst?«
    »Ich glaube schon«, erwiderte Nagorskaja. »Ich glaube aber auch, dass er völlig betrunken war. Ich wollte ihn nicht ins Haus lassen, ich habe ihm gesagt, wenn er nicht geht, würde ich die Wachen in der Anlage verständigen.«
    »Ist er dann gegangen?«
    »Nicht gleich. Konstantin ist zu ihm hinaus und hat ihn beschworen, zu gehen. Da hat Maximow ihm von mir und Lew Zalka erzählt.«
    »Woher hat Maximow das gewusst?«
    »Vielleicht hat mein Mann es ihm erzählt, vielleicht ist er selbst dahintergekommen. Ich hatte immer den Eindruck, als würde er mehr wissen, als er zugab.«
    »Wo ist Maximow jetzt?«, fragte Pekkala.
    »Keine Ahnung«, antwortete sie. »In der Anlage, vermute ich, jedenfalls ist er dorthin gefahren … vorausgesetzt, er ist auf dem Weg dahin nicht von der Straße abgekommen. Aber ob er noch dort ist, weiß ich nicht. Ebenso wenig weiß ich, wo mein Sohn steckt – deswegen rufe ich Sie an, Inspektor. Als Maximow endlich fort war, habe ich festgestellt, dass mein Sohn verschwunden ist. Er muss irgendwo im Wald sein, er kann sonst nirgendwohin. Konstantin kennt sich im Wald aus, tagsüber, wenn es hell ist, aber

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