Der rote Tod
auf, dass sie, obwohl sie viele Freunde hat, ziemlich alleine auf der Welt ist. Ich meine, sie hat diese Tante, aber du weißt, wie das ist.«
»Ja«, sagte er schwach. Oliver hielt nicht viel von Nora, aber er war ein anständiger Mann und würde tun, um was ich ihn gebeten hatte. Ich sah ihn erneut an, und mir wurde klar, wie erwachsen wir beide in den drei Jahren meines Aufenthaltes geworden waren. In vieler Hinsicht war er der Bruder geworden, den ich niemals hatte. Das Gewicht der ganzen Welt lastete auf meinen Schultern, als ich der Möglichkeit ins Auge sah, ihn vielleicht nie mehr wieder zu sehen.
Die Barkasse glitt heran, und Taue wurden ausgeworfen, um sie am Dock zu vertäuen; die Ruder wurden gesichert. Ein gescheit aussehender Schiffsoffizier sprang heraus und marschierte zielbewusst auf unser Wirtshaus zu. Es wurde Zeit.
»Gott«, sagte ich, indem ich an dem Tränenkloß würgte, der sich in meinem Hals gebildet hatte.
Oliver drehte sich vom Fenster weg und lächelte mich an, aber seine Mundwinkel zogen sich durch seinen eigenen Kummer nach unten. Er machte keine Bemerkung. Wir wussten beide, was der andere fühlte. Das machte die Dinge gleichzeitig besser und schlimmer.
»Nu n, es tut mir verdammt Leid, dich gehen zu sehen«, sagte er, während sich sein eigener Hals zuschnürte, wodurch die Worte ungleichmäßig klangen. »Du bist der einzige Verwandte, den ich habe, der einen Pfifferling wert ist, und ich schäme mich nicht, das zu sagen.«
»Aber nicht vor dem Rest der Familie«, erinnerte ich ihn.
»Gott bewahre«, fügte er ernst hinzu, und der alte und bittere Scherz brachte uns noch einmal zum Lachen.
Indem wir das aufsteigende Wasser ignorierten, das unsere Sicht verschwimmen ließ, gingen wir hinaus, um uns mit dem Offizier zu treffen.
KAPITEL
9
Long Island, September 1776
»'S sin' meine Pferde un' Wagen, Mr. Barrett, un' immer noch meine, bis auf das Stück Papier. Ich denk', ich brauch noch 'n anderes Papier, um die wiederzukriegen, un' ich will, dass Sie das für mich tun.«
So sprach unser Nachbar, Mr. Finch, während er in Vaters Bibliothek saß. Er war ärgerlich, hatte sich aber ziemlich gut im Griff. Ich hätte an seiner Stelle einen unkontrollierten Wutausbruch wegen des Diebstahls gehabt. Seine Geschichte war nicht neu auf Long Island, da die Kommissare der Besatzungsarmee ebenso emsig daran arbeiteten, ihre eigenen Taschen zu füllen wie die Bäuche der Soldaten.
»Was für eine Art Papier?«, fragte Vater, der ernst dreinblickte.
»Das war 'ne Quittung für die Produkte, die ich ihnen verkauft hab'. Ich hab meinen Roddy das lesen lassen, aber die hatten nich' eingetragen, wie viel ich dafür kriegen würde, un' sagten, das würde später eingetragen.« Er legte Vater das Dokument vor.
»Und Sie haben es unterschrieben?« Er pochte mit dem Finger auf ein Kreuz am unteren Rand des Dokuments.
Das wettergegerbte Gesicht Finchs wurde dunkler. »Die ha'm mir keine Wahl gelassen! Die verdammten Soldaten standen überall mit ihren Waffen um uns 'rum und haben gegrinst wie Teufel. Ich musste unterschreiben, oder die hätten weiß Gott was gemacht. Verdammte Söldner war'n das, bis auf den Offizier und seinen Sergeant. Konnte kein Wort von denen verstehen, aber wie die meine jungen Töchter angeguckt ha'm, da is' mir das Blut gefroren.«
Wir hatten alle von den Gräueltaten gehört. Die Armee, die von England hergeschickt worden war, machte kaum einen Unterschied zwischen den Rebellen und den loyalen Untertanen des Königs. Nicht einmal ein Krieg war eine Entschuldigung für die schlechte Behandlung der einfachen Leute. Zusätzlich zu Massendiebstahlen und gelegentlichen Aufständen hatten es sich viele in den Kopf gesetzt, Frauen ohne Schutz für ihren privaten Harem zu benutzen, waren die Damen nun willens oder nicht. Es waren Kriegsgerichte abgehalten worden, aber die Haltung der Offiziere gegenüber den brutalen Aktionen ihrer Männer war eher von Amüsement als durch Härte geprägt.
Als ich daran dachte, wie ich mich fühlen würde, wenn Elizabeth einer solchen Bedrohung gegenüberstünde, konnte ich gut verstehen, warum Finch so bereitwillig kooperiert hatte.
»Also mach' ich mein Kreuz, un' dann springt einer von denen auf den Wagen un' will wegfahren, un' als ich den Offizier frag', was das soll, sagt er, die Quittung schließt ein, dass die Güter Teil von dem Handel sin'. ›Der König braucht Pferde‹, sagt er total kühl. Ich wollte mit ihm über diesen
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