Der rote Tod
überleben ... Kein Mensch, wimmerte ich.
Fast so, als sei mein Gedanke in seinen Kopf übergesprungen, zuckte Warburton zusammen und wich vor ihr zurück, aber sie hielt seinen Arm fest, wobei sie seinen Schwung nutzte, um wieder auf die Füße zu kommen. Er versuchte, ihren Griff abzuschütteln. Das misslang. Er schlug mit seiner freien Hand gegen ihren Kopf. Sie schien es nicht zu spüren. Der natürliche Unterschied zwischen den beiden hinsichtlich Größe und Stärke hätte sich zu seinen Gunsten auswirken müssen, aber es war, als existiere keiner, und das wurde ihm plötzlich klar.
Es gab ein dumpfes, schnappendes Geräusch, Warburton schrie auf, und der Stockdegen fiel ihm aus seinen kraftlosen Fingern. Ich war gerade in der Lage, keuchend zu ihm hin zu kriechen und ihn aufzuheben.
Aber Nora brauchte meine Hilfe nicht. Das, was in ihren Augen brannte, ging über bloßen Zorn hinaus. Sie war immer noch wunderschön, aber das Höllenfeuer, das in diesen Augen loderte, verwandelte sie von einer Göttin in eine Gorgo. Sie jetzt anzusehen, war, als blicke man seinem eigenen Tod ins Auge ... oder etwas Schlimmerem.
Und Warburton sah hin.
Sein Kiefer sank nach unten, als wolle er schreien. Doch kein Laut drang aus seinem Mund. Ich erhaschte auf seinem Gesicht nur eine Widerspiegelung des Grauens, das er sah, und das reichte. Kein Kreischen, Brüllen oder Schreien, aus den Tiefen der Hölle hervorgestoßen, wäre in der Lage gewesen, das auch nur annähernd auszudrücken.
Stille, dunkel und schwer und lebendig und hungrig. Stille, wie eine Ewigkeit aus Mitternacht, zusammengepresst in einen einzigen Moment, bereit, auszubrechen und das Universum für immer zu verschlingen. Stille, bis auf meinen gequälten Atem und die harte Arbeit meines Herzens.
Niemand bewegte sich. Warburton erschien wie ein Mann aus Stein, auf der Stelle erstarrt vor Entsetzen wie ein Spatz vor einer Schlange: sich dessen bewusst, was folgen würde, aber nicht in der Lage davonzufliegen. Nur sein Gesichtsausdruck änderte sich, der gesunde Wahnsinn schmolz dahin, wodurch die jämmerliche, reine Verzweiflung entblößt wurde.
Dann flüsterte Nora: »Nein«, und ließ ihn frei, Seele und Körper. Es gab einen dumpfen Aufschlag, als er auf dem Boden zusammenbrach. Sie stand über ihm, die Hände locker an ihren Seiten. Er kauerte sich zusammen, seine Beine zur Brust hochgezogen, die Arme fest um den Kopf geschlungen. Er würgte krampfhaft, einmal, zweimal, und begann dann zu weinen wie ein Kind.
Ich wollte ebenfalls weinen, aber aus einem anderen Grund. Ich rappelte mich hoch und stolperte auf sie zu.
Eine Stunde verging, bevor ich aufhörte zu zittern. Die heftigen Bewegungen in meinem Magen hatten sich beruhigt, aber in meinen Hinterkopf bohrten sich noch immer Lanzen aus Schmerz, wenn ich mich bewegte. Nora hatte ein Stück Eis aus der Speisekammer in einen Lappen eingewickelt, den ich mir an die verletzte Stelle halten sollte. Sie sagte, die Haut sei durch trennt, musste aber nicht genäht werden.
Ihr Verhalten war so ruhig und kühl wie das Eis. Ihre Augen wanderten überall umher, aber begegneten niemals wirklich den meinen. Sie hatte sich in sich selbst zurückgezogen, ohne dass sie dabei den Raum hätte verlassen müssen. Als ich meine Hand nach ihr ausstreckte, berührte sie sie nur kurz und fand dann eine andere Aufgabe zu erledigen, die sie von mir ablenkte. Zuerst glaubte ich, es habe mit mir zu tun, bis ich bemerkte, dass ihre Gedanken nach innen gerichtet waren, und das, was ihr durch den Kopf ging, nicht angenehm war.
Das traurige Summen von Warburtons Weinen hatte schließlich aufgehört, und nach einem Anfall prosaischen Schniefens und Schnüffelns war er eingeschlafen.
Wir ließen ihn auf dem Boden liegen, wo er hingefallen war, und hielten Abstand von ihm, als sei er von irgendeiner Seuche befallen.
»Soll ich ihn nach Hause bringen?«, fragte ich.
»Bitte?« Sie bewegte sich langsam, nachdem sie sich mit dem Anzünden einer Kerze aufgehalten hatte. Dutzende von ihnen brannten in dem Raum, mit der Ausnahme einer düsteren Stelle um Warburton herum.
»Es wird weniger Aufsehen erregen, wenn ich derjenige bin, der ihn nach Hause bringt.«
»Was wirst du Oliver erzählen?«
»Ich denke mir etwas aus.«
»Lügen, Jonathan?«
»Besser als die Wahrheit. Diskreter.«
Ich hatte das gesagt, um sie zu trösten. Ihre Lippen wurden zu einem dünnen Strich, als sie sich für eine ironischere Interpretation
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