Der Rote Tod
wem denn?«
»Nur mit mir.«
Gertrud schaute ihren Mann Richard an, der am Tisch saß, in den letzten Minuten nichts gesagt hatte und nur in seinen Becher mit Kaffee starrte. »Sag du doch auch mal was, Richard.«
»Lass sie ruhig gehen.«
Die Antwort gefiel Gertrud Kohler auch nicht. »Du sagst das so locker. Hast du denn keine Angst? Machst du dir denn keine Gedanken, dass Hanna etwas passieren könnte?«
»Nein.«
»Ach. Und warum nicht?«
»Dann wäre sie schon in der Nacht getötet worden.«
Die Frau musste lachen. Es hörte sich alles andere als gut an. »Was bist du nur für ein Vater, Richard. Du hast alles Mögliche im Kopf, nur nicht das Wohl deiner Tochter.«
»Ich habe eben logisch gedacht.«
»Ja, das hast du. Aber du hast dabei vergessen, dass logisches Denken auch wehtun kann.«
Hanna, die abwartend in der Nähe stand und von einem Fuß auf den anderen trat, fragte: »Kann ich denn jetzt nach draußen gehen?«
»Sicher, mein Schatz, sicher. Lauf bitte nur nicht zu weit weg. Wir machen uns schließlich Sorgen.«
»Geht klar, Mutti.«
Gertrud Kohler sprach ihren Mann erst wieder an, als er seine Tasse geleert hatte. »Hast du eigentlich daran gedacht, dass wir hier aus Göttingen verschwinden sollten?«
»Wann?«
»Sofort!«
»Das ist nicht möglich, Gertrud. Wir haben einen Vertrag.«
»So kannst auch nur du reden.«
»Es stimmt aber. Wenn ich den jetzt löse, bekommen wir großen Ärger. Es ist kein Grund, von hier zu verschwinden. Das würde uns auch keine Versicherung abnehmen.«
»Aber diese Taten...«
»Welche denn?«
»Drei Morde, verdammt!«
»Na und«, schrie er zurück. »Ist das vielleicht ein Grund? Wenn wir in Berlin oder Frankfurt sind und während meines Gastspiels geschehen Morde, dann sagst du doch auch nicht, dass wir die Stadt verlassen sollen. Also werde ich auch hier in Göttingen bleiben.«
»Das ist etwas anderes, Richard. Hier steht unsere Tochter im Mittelpunkt. Sie hat den Killer gesehen.«
»Und lebt. Er will nichts von ihr. Verlass dich darauf. Er will wirklich nichts.«
»Aber er mordet.«
»Ist das ein Problem?«
Gertrud wusste nicht, was sie erwidern sollte. Sie schaute sich ihren Mann sehr genau an und sah einen düsteren Typen vor sich. Das war ihr neu, und der Begriff ›düster‹ stimmte auch nicht so ganz. Er war nicht dunkler geworden. Nur wurde er von einer Aura umgeben, die ihr nicht gefiel. Er hatte etwas an sich, das sie abschreckte. Es war nur ein Gefühl, was die Düsternis betraf. An seinen schwarzen, halblangen Haaren lag es nicht. Auch nicht an den Bartstoppeln in seinem Gesicht, in dem dunkle Augen andere Menschen einfangen und faszinieren konnten, wie es bei Gertrud auch mal geschehen war, als sie sich unsterblich in den Schauspieler verliebt hatte. Das lag jetzt 14 Jahre zurück. In der Zwischenzeit hatte sich das Verhältnis relativiert.
Manchmal überlief sie ein Frösteln, wenn sie ihren Mann beobachtete. Er war dann tief in seinen Gedanken versunken, die nicht eben positiv sein konnten. Wenn sie ihn darauf ansprach, kam er stets mit der Ausrede, an seine Rollen zu denken.
Auch jetzt überlief sie wieder das Frösteln, und sie flüsterte: »Ich kenne dich nicht mehr.«
»Wieso?«
»Du bist so anders geworden.«
Kohler zuckte mit den Schultern. Er griff zur Zigarettenschachtel und zündete sich einen Glimmstängel an.
»Besonders seit wir hier in der Stadt sind. Ich habe den Eindruck, als würde eine große Last auf dir liegen, die du aus eigener Kraft nicht wegbekommst. Das denke ich.
»Das ist deine Meinung.«
»Aber habe ich nicht Recht?«
Richard sog an seiner Zigarette und blies den Rauch gegen die Decke. »Ich bin Schauspieler. Ich liebe meinen Beruf. Ich bin introvertiert und...«
»Das weiß ich ja. Es ist noch lange kein Grund, sich so zu verhalten. In der vergangenen Nacht habe ich unsere Tochter allein vom Polizeirevier abholen müssen. Du hättest eigentlich dabei sein müssen. Warst du aber nicht. Ich kam mir verdammt blöd und auch einsam vor.« Sie schlug mit der Faust auf den Tisch.
»Ich hatte noch zu tun.«
»Ja, und dein Handy war abgeschaltet.«
»Genau.«
Gertrud Kohler atmete tief ein, rutschte dabei etwas mit dem Stuhl zurück und schüttelte den Kopf. »So geht das nicht weiter, Richard, so nicht. Ich habe in den letzten Jahren alles mitgemacht, was du wolltest. Wenn diese Saison zu Ende ist, dann müssen wir miteinander reden. Bitte, das müssen wir tun.«
»Worüber?«
»Frag doch
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