Der Rote Wolf
menschenleer, ein beleuchtetes Notausgangsschild verlieh Zeitungsständern und Besucherstühlen grünliche Konturen.
Es raschelte in dem Lautsprecher über der Klingel der Redaktion.
»Ja, bitte?«
»Ich heiße Annika Bengtzon und bin Reporterin beim
Abendblatt.
Ich war heute Abend eigentlich mit Benny Ekland verabredet, habe aber jetzt erfahren, dass er tot ist.«
Sie sah in den Himmel hinauf. Die Wolken waren weggezogen und die Sterne aufgegangen. Die Temperatur fiel schnell, und sie rieb die Handschuhe aneinander.
»Ja, und?«, erklang von neuem die raue Redaktionsstimme, in der das Misstrauen die schlechte Technik übertönte.
»Benny sollte Material von mir bekommen, wir wollten gemeinsam ein paar Sachen durchgehen.«
Jetzt kam die Antwort schnell.
»Im Austausch gegen was?«
»Lassen Sie mich doch bitte rein, dann können wir uns weiter unterhalten«, sagte sie.
Drei Sekunden statischen Zögerns später surrte der Türöffner, und Annika zog die Tür auf. Warme, nach Papierstaub riechende Luft strömte ihr entgegen. Sie ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen, während ihre blinzelnden Augen sich an das grüne Leitlicht zu gewöhnen versuchten.
Die Treppe zu den Redaktionsräumen lag links vom Foyer, abgewetztes graues Laminat mit Gummileisten.
Ein großer Mann in einem weißen Hemd, das kurz über dem Hosenbund einen Spaltbreit aufklaffte, empfing sie am Kopierer. Sein Gesicht war hochrot, seine Augen blutunterlaufen.
»Es tut mir wirklich sehr Leid«, sagte Annika und streckte ihm die Hand entgegen. »Benny Ekland war auch bei uns eine lebende Legende.«
Der Mann gab ihr die Hand, nickte und stellte sich als Pekkari vor. Er war der verantwortliche Redakteur für den Spätdienst.
»Benny hätte jederzeit und bei jeder Stockholmer Zeitung einen Job bekommen können, er hat mehrfach Angebote abgelehnt, weil er hier bleiben wollte.«
Annika versuchte zu lächeln, um so ihre schmeichelnde Lüge wieder gutzumachen.
»Das ist mir bewusst«, murmelte sie.
»Möchten Sie einen Kaffee?«
Sie folgte dem Redakteur zum Pausenraum, einem winzigen, fensterlosen Verschlag mit zwei Kochplatten, der zwischen den Ressorts Samstagsbeilage und Leserpost eingeklemmt lag.
»Sie waren das in dem Tunnel, nicht wahr?«, meinte er konstatierend.
Annika nickte kurz und zog ihre Jacke aus, während der Mann zähflüssigen Teer in zwei schlecht gespülte Tassen goss.
»Also schön, welche Art von Gefallen wollten Sie beide denn nun austauschen?«, fragte Pekkari und hielt ihr die Zuckerdose hin.
Sie hob abwehrend die Hand.
»Ich habe in letzter Zeit einiges über Terrorismus geschrieben. Letzte Woche sprach ich mit Benny über den Anschlag auf F21, und er meinte, er sei da einer Sache auf der Spur. Einer richtig großen Sache, einer genauen Beschreibung dessen, was damals passierte.«
Der Redakteur stellte die Zuckerdose auf den Tisch und wühlte mit nikotinfleckigen Fingerspitzen in den Würfeln.
»Wir haben die Geschichte am Freitag gebracht«, sagte er.
Annika war konsterniert, hatte sie doch weder im Rundfunk noch im Fernsehen ein Wort über Enthüllungen gehört.
Pekkari ließ drei Stück Zucker in seine Tasse fallen.
»Ich weiß, was Sie jetzt denken«, sagte er. »Aber Sie arbeiten für einen Medienriesen, Sie wissen nicht, wie es bei einer Lokalzeitung ist. Die Presseagenturen interessieren sich nur für Stockholm. Für die sind unsere Sensationen nur Katzendreck.«
Das ist nicht wahr, revoltierte sie innerlich, das kommt ganz auf das Niveau eurer Artikel an. Dann verdrängte sie den Gedanken und sah nach unten.
»Meine erste Stelle hatte ich beim
Katrineholms-Kuriren«,
sagte sie, »ich weiß also durchaus, wie es läuft.«
Der Mann riss die Augen auf.
»Dann kennen Sie Macke?«
»Vom Sport? Klar. Er ist eine Institution.«
Schon zu meiner Zeit unerträglich und ständig betrunken, dachte Annika und lächelte den Redakteur an.
»Was wollten Sie Benny geben?«, sagte der Mann und schlürfte seinen Kaffee.
»Ein paar historische Überblicke«, antwortete sie schnell. »Vor allem Archivmaterial aus den Siebzigern, sowohl Bilder als auch Text.«
»Das gibt es doch auch alles im Internet«, meinte Pekkari. »Die Sachen hier nicht.«
»Dann wollten Sie ihm also nicht seine Story abluchsen?«
Die Augen des Mannes nahmen sie über den Tassenrand hinweg ins Visier, sie begegnete ruhig seinem Blick.
»Ich habe viele Fähigkeiten, aber Gedankenlesen gehört noch nicht dazu. Benny hat mich
Weitere Kostenlose Bücher