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Der Rote Wolf

Der Rote Wolf

Titel: Der Rote Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Marklund
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Annika, »diese Informationen sind mir bisher noch nie untergekommen. Es könnte sich lohnen, sie weiterzuverfolgen.«
    »Der Kopierer steht draußen an der Treppe. Wenn Sie ihn ganz lieb streicheln, funktioniert er vielleicht.«
    Der Mann bewegte sich lautlos schwebend durch schwarze Straßen. Der Schmerz war gezügelt, sein Körper voller Kraft.
    Lulea war im Laufe der Jahre geschrumpft. In seiner Erinnerung war die Stadt groß und hochnäsig und suhlte sich voller Selbstvertrauen in Flitter und Kommerz.
    Heute Nacht war diese Selbstverständlichkeit verschwunden, nicht zu sehen, vermutlich hatte es sie auch nie gegeben. Hier gab es keine Macht. Die Storgatan war für den Autoverkehr gesperrt und zu einem lang gezogenen, windgepeitschten Spielplatz um funktioniert worden, der von traurigen Zwergbirken gesäumt wurde. Hier sollten die Menschen für ihre Mühen entlohnt werden, hier sollten sie ihre Angst im Konsumrausch vergessen.
    Der Fluch der Freiheit, dachte er. Dieser verdammte Renaissancemensch, der eines Morgens im Florenz des 12. Jahrhunderts aufwachte und den Kapitalismus entdeckte, sich im Bett aufsetzte, die Möglichkeiten seines Egos erkannte und begriff, dass der Staat ein Organismus war, der kontrolliert und manipuliert werden konnte.
    Vor der Stadtbücherei ließ er sich auf eine Bank fallen, um den schlimmsten Morphiumrausch abklingen zu lassen. Er wusste zwar, dass es nicht gut war, in einer derartigen Kälte regungslos herumzusitzen, doch im Moment machte sie ihm nichts aus. Er wollte hier sitzen bleiben und seine Kathedrale betrachten, das Gebäude, in dem er seine Dynastie begründet hatte. Den hässlichen Anbau an der Ecke zu einer namenlosen Straße, eine seiner Heimstätten auf Erden. Das Gebäude war hell erleuchtet, vermutlich fanden in ihm genau wie damals auch heute noch Versammlungen statt.
    Aber bestimmt keine wie die unseren, dachte er, nie im Leben.
    Zwei junge Frauen wollten das Gebäude verlassen, er sah sie in der Eingangshalle stehen bleiben und die Kulturplakate an der Wand studieren.
    Möglicherweise ist die Tür offen, dachte er benebelt. Man kann vielleicht hineingehen.
    Die Mädchen sahen ihn flüchtig an, als sie ihm wenige Meter vor der Tür begegneten, es war ein ausweichender Blick, wie man ihn nur in kleinen und weltfremden Orten antrifft: Den da kennen wir nicht, der kann uns gestohlen bleiben. In größeren Städten nahm man einander erst gar nicht wahr. Das war ihm wesentlich lieber.
    Die Bücherei war in der Tat noch geöffnet. Er stellte sich in die Eingangshalle und beschwor die Erinnerungen herauf, und sie kamen, überwältigten ihn und raubten ihm den Atem. Die Zeit wurde ausradiert, er war wieder zwanzig, es war Sommer und heiß, und er hatte sein Mädchen neben sich, seinen geliebten Roten Wolf die Frau, die erfolgreicher werden sollte, als alle jemals für möglich gehalten hatten. Er zog sie an sich, roch den Hennaduft ihrer kupferfarbenen Haare, konnte ein Schluchzen nicht unterdrücken.
    Ein plötzlicher Luftzug um seine Beine riss ihn jäh in die Gegenwart zurück.
    »Wie geht es Ihnen? Brauchen Sie Hilfe?« Ein alter Mann sah ihn freundlich an.
    Standardfloskeln, dachte er, schüttelte den Kopf und schluckte seine französische Antwort hinunter.
    Die Eingangshalle tauchte in ihrer gesamten prätentiösen Wirklichkeit wieder auf, der Greis ging in die Wärme und ließ ihn mit den Mitteilungen an der Plakatwand allein: eine Lesung, ein Krippenspiel, ein Konzert mit Hakan Hagegärd und ein feministisches Festival.
    Er wartete, bis sein Atem wieder ruhiger ging, strich die Haare glatt, trat vorsichtig an die Tür zur Bücherei und spähte diskret durch die Scheibe hinein.
    Anschließend ging er schnell durch den Flur und die hintere Treppe hinab.
    Großer Gott, dachte er, ich bin hier, ich bin tatsächlich hier.
    Er betrachtete die verschlossenen Türen eine nach der anderen, vergegenwärtigte sich, was hinter ihnen war, kannte hier jeden Raum. Die eichenfarbenen Paneelwände, die Steintreppe, die Klapptische, die schlechte Beleuchtung; er lächelte über seinen Schatten, den jungen Mann, der im Namen des Angelvereins einen Raum gebucht und dann bis tief in die Nacht maoistische Versammlungen abgehalten hatte.
    Es war richtig gewesen, hierher zu fahren.

MITTWOCH, 11. NOVEMBER
    Anders Schyman zog sein Jackett an und kippte den letzten Schluck Kaffee herunter. Die Dunkelheit ließ die Fenster zu Spiegeln werden, er rückte seinen Kragen vor den Konturen der

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