Der Rote Wolf
angerufen. Wie hätte ich sonst herausfinden sollen, dass er etwas in der Mache hatte?«
Der Redakteur nahm sich einen weiteren Zuckerwürfel und lutschte daran, während er gleichzeitig seinen Kaffee trank und nachdachte.
»Sie haben Recht«, sagte er dann. »Was brauchen Sie?« »Jemanden, der mir Bennys Artikel über Terrorismus heraussucht.«
»Gehen Sie ins Archiv und sprechen Sie mit Hasse.«
So sehen sämtliche Zeitungsarchive in ganz Schweden aus, dachte sie, und Hans Blomberg sieht aus wie der Inbegriff eines Archivars. Ein kleiner, verstaubter Mann in einer grauen Strickjacke, mit einer Brille und einer überkämmten Glatze. Sogar seine Pinnwand enthielt die vorhersehbaren Requisiten: eine Kinderzeichnung eines gelben Dinosauriers, ein neunmalkluges geflügeltes Wort »Warum bin ich nicht REICH statt SCHÖN?« und einen Kalender, auf dem bis zu einem nicht näher definierten Ziel heruntergezählt wurde, begleitet von der Ermahnung »HALTE DURCH!«.
»Benny war ein verdammt sturer Bursche«, meinte der Archivar und setzte sich ächzend an seinen Computer. »Eine wahre Landplage. Er gab niemals auf und produzierte mehr als jeder andere, den ich erlebt habe, gelegentlich übrigens mehr Masse als Klasse. Kennen Sie den Typus?«
Er sah Annika über den Rand seiner Brille hinweg an, und sie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
»Man soll nicht schlecht über die Toten reden«, sagte der Mann und spielte einen langsamen Zeigefingerwalzer auf der Tastatur, »aber man kann doch trotzdem ehrlich sein, nicht wahr?«
Er zwinkerte ihr schelmisch zu.
»Der Todesfall scheint die Redaktion sehr getroffen zu haben«, sagte Annika zögernd. Hans Blomberg seufzte.
»Er war der Star der Zeitung, der Liebling der Chefetage, das Hassobjekt der Gewerkschaft, Sie wissen schon, so ein Typ, der nach einem Auftrag beschwingt in die Redaktion gerannt kam Und rief: Sucht meinen Bildeinschlag heraus, denn heute Abend bin ich unsterblich.«
Annika musste lachen, sie hatte tatsächlich schon mal jemanden genau diese Worte sagen hören, wahrscheinlich war es Carl Wennergren gewesen.
»Nun gut, meine Liebe, dann erzählen Sie mir mal, was Sie interessiert?«
»Bennys Serie über den Terrorismus, vor allem der Artikel über F21, der vor ein paar Tagen erschienen ist.«
Der Archivar sah sie an, seine Augen blitzten auf.
»Aha«, sagte er, »dass ein Mädchen wie Sie sich für so gefährliche Dinge interessiert?«
»Lieber Onkel Blomberg«, erwiderte Annika, »ich bin verheiratet und habe zwei Kinder.«
»Ja, ja«, seufzte er, »immer diese Feministinnen. Wollen Sie einen einfachen Computerausdruck oder den Seitenausschnitt?«
»Am liebsten den Seitenausschnitt, wenn es Ihnen nicht zu viel Mühe macht«, sagte Annika.
Der Mann stöhnte laut und stand wieder auf.
»Diese Computer«, sagte er, »mit ihnen sollte doch alles so viel einfacher werden, aber nein. Doppelte Arbeit, das ist bei der Vernetzung herausgekommen.«
Er verschwand zwischen den Aktenschränken, murmelte »T, T, Terrorismus …«, zog an Schubladen, seufzte und stöhnte.
»Hier«, rief er wenige Augenblicke später und hielt triumphierend einen braunen Umschlag in die Höhe. Die Haarsträhnen auf seinem Scheitel waren nach vorn gerutscht, und seine Glatze glänzte. »Terrorismus ä la Ekland. Setzen Sie sich da drüben hin. Ich bin noch bis sechs hier.«
Annika nahm den Umschlag entgegen, öffnete ihn mit feuchten Fingern und ging zu dem Schreibtisch, den er ihr zugewiesen hatte. Zeitungsausschnitte waren im Vergleich zu Computerausdrucken von Artikeln wesentlich aussagekräftiger. Auf einem Ausdruck waren alle Überschriften gleich groß, alle Texte gleich lang, alle Bilder gleich klein. Auf Zeitungsseiten lebten und atmeten die Artikel unter protzigen oder grazilen Überschriften, allein das Schriftbild verriet ihr einiges darüber, was die Redakteure erreichen, welche Signale sie setzen wollten. Umfang, Ausführung und technische Qualität der Bilder erzählten einem noch mehr darüber, wie wichtig ein Ereignis eingestuft wurde, aber auch, wie exklusiv gerade dieses Bild oder jener Abzug inmitten der allgemeinen Nachrichtenflut an diesem einen Tag war. Aus den Computerarchiven war das Wissen einer ganzen Berufsgruppe, der Textredakteure, ausradiert worden. Aber hier konnte sie richtiges Material studieren.
Die Ausschnitte waren nach Datum sortiert, die ältesten lagen zuoberst. Der erste Text war Ende April veröffentlicht worden und behandelte
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