Der Rote Wolf
verpasst. Ich war zu der Zeit noch in Stockholm und fing erst im Mai siebzig hier oben bei der Streifenpolizei an.«
Als sie ihren Anorak angezogen und die Handschuhe in der Tasche gefunden hatte, klingelte ihr Handy. Auf dem Display erschien die Meldung
Teilnehmer unbekannt,
was auf drei mögliche Anrufer hindeutete: die Zeitung, Thomas oder Anne Snapphane.
Sie zögerte ein paar Sekunden, stellte dann die Verbindung her und schloss die Augen.
»Ich sitze hier auf meinem Bürostuhl
Operativ
von Ikea«, verkündete Anne, »und lege in diesem Moment die Füße auf den Schreibtisch
Prioritet.
Wo bist du?«
Annika ließ erleichtert die Schultern sinken. Sie brauchte keine Schuldgefühle zu haben, keine Forderungen zu erfüllen.
»In Lulea. Heißt das, du durftest in dein neues Büro?«
»Mit Namensschild an der Tür und allem Drum und Dran. Das ist das erste Gespräch von meinem neuen Doro-Telefon. Was habe ich für eine Nummer?«
»Die ist noch geheim«, sagte Annika und ließ die Handschuhe und den Anorak wieder zu Boden fallen. »Was hat der Arzt gesagt?«
Ihre Freundin seufzte schwer.
»Er schien müder zu sein als ich«, sagte sie, »aber man muss vielleicht auch Verständnis für ihn haben. Ich gehe jetzt schon fast zehn Jahre zu ihm. Das kann jeden an den Rand der Erschöpfung bringen. Aber ich weiß wenigstens, an welcher Krankheit ich leide, ich weiß, dass ich eine Hypochonderin bin.«
»Aber auch Hypochonder können einen Gehirntumor bekommen«, sagte Annika.
»Verdammt«, rief Anne Snapphane entsetzt. »Daran habe ich noch gar nicht gedacht.«
Annika lachte und wurde von einer Wärme erfüllt, die nur Anne ihr einflößen konnte.
»Was soll ich denn machen?«, sagte Anne. »Wie soll ich weniger stressig leben?
Für morgen ist eine Pressekonferenz anberaumt, und ich muss die ganzen Besitzverhältnisse erläutern und den ganzen technischen Scheiß mit Sendelizenz und so.«
»Wieso denn das?«, sagte Annika. »Du bist doch Programmdirektorin. Überlass das doch dem Geschäftsführer.«
»Der ist in New York. Was hältst du hiervon: TV Scandinavia ist im Besitz eines Konsortiums amerikanischer Investoren, die alle über langjährige Erfahrung im Betrieb von Fernsehsendern verfugen Wir werden in Finnland, Dänemark, Norwegen und Schweden digital senden, mit Firmensitz und Fernsehstudios in Stockholm Die Eigentümer von TV Scandinavia sind zu dem Schluss gekommen, dass es in den skandinavischen Ländern plus Finnland die zusammengenommen ein Zehntel der in den USA zugänglichen Fernsehzuschauer haben, ein ungenutztes Fernsehpotenzial gibt. In der Gesetzesvorlage, die das Kulturministerium im Januar in das Parlament einbringen will, wird Kultusministerin Karina Björnlund vorschlagen, dass für digitales Fernsehen in Zukunft die gleichen Wettbewerbsbedingungen gelten werden wie für den übrigen Markt, sodass es der Post- und Telekommunikationsaufsicht obliegt, allen eine Sendelizenz zu erteilen, welche die vorgegebenen Bedingungen erfüllen … Was meinst du, wie klingt das?«
»Ich habe bei Konsortium abgeschaltet«, antwortete Annika. »Kannst du das nicht ein bisschen aufpeppen?« Anne Snapphane seufzte.
»Wenn du wüsstest, was das für einen Aufstand auslösen wird«, sagte sie. »Wir werden die etablierten Fernsehsender auf ganz neue Art herausfordern, weil wir digital senden dürfen, und da alle in Skandinavien digitales Fernsehen empfangen können, werden wir jeden Haushalt in ganz Nordeuropa erreichen.
Alle werden uns hassen.«
»Darm sprich doch einfach gar nicht darüber«, schlug Annika vor und sah auf die Uhr. »Erzähl lieber was über die Kinderprogramme, die ihr senden werdet, was ihr für die Bildungs- und Kulturprogramme tun wollt, dass ihr vorhabt, Nachrichten und selbst Produzierte Dokumentationen über die Menschen in der Dritten Welt zu senden.«
»Ha, ha«, erwiderte Anne säuerlich. »Sehr witzig.« »Ich muss los«, sagte Annika. »Ich muss was trinken«, erwiderte Anne.
Die Redaktionsräume der
Norrlands-Tidningen
lagen auf drei Etagen verteilt in einem Gebäude zwischen Rathaus und Residenz. Annika schaute an der gelben Backsteinfassade hoch und schätzte, dass das Haus Mitte der fünfziger Jahre erbaut sein musste.
Das hätte genauso gut der
Katrineholms-Kuriren
sein können, jedenfalls sah das Haus ganz ähnlich aus. Der Eindruck verstärkte sich noch, als sie sich zu der Glastür vorbeugte und in den Empfangsbereich hineinlugte. Der Raum lag im Halbdunkel und war
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