Der Rote Wolf
russischen Botschaft gerade, blieb stehen und starrte in zwei Löcher, wo sich eigentlich seine Augen befinden sollten.
Endlich habe ich es geschafft, dachte er. Jetzt bin ich nicht mehr nur der nützliche Idiot, sondern bestimme selbst. Bei der Aufsichtsratssitzung, die in einer Viertelstunde begann, würde er nicht nur akzeptiert, sondern respektiert werden. Aber wo war die Euphorie? Die Befriedigung? Das Glücksgefühl angesichts der Säulen und Diagramme, die er in den Händen hielt?
Die Augen gaben ihm keine Antwort auf diese Fragen.
»Anders«, knisterte die Sprechanlage, seine Sekretärin klang ein wenig aufgeregt. »Herman Wennergren ist auf dem Weg zu Ihnen.«
Er blieb stehen, und während er auf den Aufsichtsratsvorsitzenden der Zeitung wartete, wurde es draußen allmählich hell.
»Ich bin beeindruckt«, sagte Wennergren in dem für ihn typischen Brustton, als er hereinschlenderte und mit beiden Händen Schymans Hand ergriff. »Haben Sie irgendwo eine Zauberformel gefunden?«
In all den Jahren, die sie sich nun kannten, hatte der Aufsichtsratsvorsitzende nur äußerst selten die journalistische Arbeit der Zeitung kommentiert, doch wenn der Vierteljahresbericht vierzehn Prozent höher lag als die Prognose, die Auflage stieg und der Rückstand gegenüber der Konkurrenz sich deutlich verringerte, musste ein Zauberer am Werk sein.
Anders Schyman lächelte und bot Wennergren einen Platz auf der Besuchercouch an, sodass die beiden Männer sich gegenübersaßen.
»Die Umstrukturierungsmaßnahmen greifen und funktionieren« sagte Schyman schlicht und sorgfältig darauf bedacht, Torstensson nicht zu erwähnen, seinen Vorgänger und einen guten Freund Wennergrens. »Kaffee? Oder ein kleines Frühstück?«
Der Aufsichtsratsvorsitzende winkte ab.
»Die Sitzung heute sollten wir schnell hinter uns bringen, da ich bald in einer anderen Angelegenheit wegmuss«, sagte er und warf einen Blick auf die Uhr.
»Aber ich habe einen Plan, über den ich als Erstes mit Ihnen sprechen möchte, und die Sache brennt mir ein wenig unter den Nägeln.«
Schyman setzte sich auf und machte ein neutrales Gesicht.
»Wie aktiv haben Sie sich im Verband der Schwedischen Zeitungsverleger betätigt?«, fragte Wennergren und betrachtete prüfend seine Fingernägel.
Schyman stutzte, er hatte mit dem Verband bislang nur sporadisch zu tun gehabt.
»Ich bin Ersatzbeisitzer im Vorstand, mehr aber auch nicht«, sagte er.
»Aber Sie sind sich bewusst, wie die Dinge laufen, oder? Sie wissen um das Geschacher in den Korridoren? Das Intrigenspiel und den Klüngel in den verschiedenen Bereichen?«
Wennergren rieb seine Nägel am rechten Hosenbein und sah Schyman unter buschigen Augenbrauen an.
»Ich habe keine praktische Erfahrung damit«, meinte Anders Schyman und spürte, dass er sich auf dünnem Eis bewegte. »Mein Eindruck ist, dass die Tätigkeit ein wenig … kompliziert ist. Die Verleger auf dem Zeitungsmarkt, die normalerweise die ärgsten Konkurrenten sind, sollen sich einigen und vertragen und gemeinsame Ziele verfolgen. Das dürfte nicht immer einfach sein.«
Hermán Wennergren nickte bedächtig und kratzte mit einem agel unter einem anderen.
»Das ist völlig korrekt«, sagte er. »Die sozialdemokratische Presse, die Bonnierblätter, Schibsted, die großen Lokalzeitungen, unter anderem Hjörnes in Göteborg, Nerikes Allehanda, die Jönköpinggruppe, und natürlich wir, da müssen viele Interessen unter einen Hut gebracht werden.«
»Die Forderung, die Regierung solle der Abschaffung der Werbesteuer Vorrang geben, war immerhin eine Frage, bei der man Erfolg hatte«, sagte Schyman.
»Zum Beispiel«, erwiderte Wennergren. »Im Pressehaus gibt es jedenfalls die Gruppe der geschäftsführenden Direktoren, die sich um den laufenden Betrieb kümmert. Die Aufgabe, Beschlüsse herbeizuführen, hat jedoch der Vorstandsvorsitzende.«
Anders Schyman rührte sich nicht, seine Nackenhaare sträubten sich langsam.
»Wie Sie vielleicht wissen, bin ich Vorsitzender im Wahlausschuss des Verbands«, sagte Wennergren und ließ endlich die Fingerspitzen auf den Couchbezug fallen. »Mitte Dezember soll unser Ausschuss den Vorschlag für die Zusammensetzung eines neuen Vorstands vorlegen, und ich habe die Absicht, mich dafür einzusetzen, dass Sie den Posten des Vorsitzenden bekommen. Was halten Sie davon?«
Der Chefredakteur war viel zu verwirrt, um klar denken zu können.
»Hat nicht in der Regel einer der Direktoren den
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