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Der Rote Wolf

Der Rote Wolf

Titel: Der Rote Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Marklund
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immer«, sagte sie. »Mein Sessel steht auf der anderen Seite des kleinen Tisches. Nach dem Abendessen sitzen wir hier immer zusammen und lesen, Gemeindeakten und die Lokalzeitung und Zeitschriften, auch die Schreibarbeit erledigen wir hier in unseren Sesseln.«
    »Wo ist Ihr Sessel jetzt?«, fragte Annika, obwohl sie die Antwort bereits ahnte.
    Die Frau drehte sich zu ihr um, und in ihren Augen standen Tränen.
    »Die Polizei hat ihn mitgenommen«, sagte sie leise, »um ihn näher zu untersuchen. Er saß in ihm, als er starb, und das Gewehr hing in seiner rechten Hand.«
    »Haben Sie ihn gefunden?«
    Die Frau starrte erneut die leere Stelle an, wo ihr Sessel gestanden hatte.
    Offensichtlich schössen ihr Bilder durch den Kopf, die Annika fast schon selbst sehen zu können meinte. Gunnel Sandström nickte.
    »Ich war Samstagnachmittag auf dem Herbstbasar der Pfadfinder«, sagte sie, den Blick unverwandt auf die quadratischen Abdrücke des Sessels im Teppichboden gerichtet. »Unsere Tochter leitet eine Gruppe, und ich bin noch dageblieben und habe ihr nachher beim Aufräumen geholfen. Als ich nach Hause kam … saß er dort … in meinem Sessel.«
    Sie wandte sich ab, brach in Tränen aus und ging gebeugt und schwankend zum Tisch in der Küche zurück. Annika folgte ihr, überlegte, ob sie die Frau in den Arm nehmen sollte, entschied sich jedoch dagegen.
    »Wo hat ihn der Schuss getroffen?«, fragte Annika leise und setzte sich neben die Frau.
    »Im Auge«, flüsterte Gunnel Sandström. Die Uhr tickte, salzige Tränen liefen ihr herunter, doch sie schluchzte nicht, und auf ihrem Gesicht zeigte sich keine Regung. Plötzlich veränderte sich die Atmosphäre in der Küche, Annika spürte mit einem Mal den toten Mann im Nachbarzimmer, er war als ein kaltes Ausatmen gegenwärtig, als ein schwacher Ton des Engelchors, der in ihr Bewusstsein drang.
    Die Frau rührte sich nicht, sah Annika jetzt jedoch in die Augen.
    »Wenn man sich erschießen will«, hauchte sie, »warum zielt man dann auf den eigenen Blick? Warum starrt man beim Abdrücken in die Mündung, was hofft man dort zu sehen?«
    Sie schloss die Augen.
    »Das passt einfach nicht zusammen«, sagte sie etwas lauter mit geschlossenen Augen. »Er hätte das niemals getan und auf gar keinen Fall in meinem Sessel.
    Ich kann mich nicht erinnern, dass er jemals dort gesessen hätte. Er wollte mir damit sagen, dass ihn je mand gezwungen hat. Es muss mit diesem Telefongespräch zusammenhängen.«
    Annika riss die Augen auf.
    »Es klingelte am Freitagabend«, erläuterte die Frau. »Es war schon spät, nach halb zehn. Wir hatten die Nachrichten gesehen und wollten gerade ins Bett gehen, wir müssen ja wegen der Kühe immer früh raus, doch Kurt ging ans Telefon, er sagte nicht, wer angerufen hat, sondern zog sich an und ging hinaus und blieb lange fort. Ich lag wach und wartete auf ihn, aber er war nicht vor elf zurück. Dann habe ich ihn natürlich gefragt, ich wollte doch wissen, was er getan und wen er getroffen hatte, aber er meinte, später, wir reden morgen darüber, ich bin jetzt müde. Nach der Arbeit im Stall kam dann anderes dazwischen, und so haben wir nicht darüber gesprochen. Später fuhr ich zu den Pfadfindern, und als ich nach Hause kam, war er …«
    Sie kauerte sich zusammen und schlug die Hände vors Gesicht. Diesmal zögerte Annika nicht, sondern legte ihren Arm um den Rücken der Frau.
    »Haben Sie das auch der Polizei erzählt?«
    Gunnel Sandström riss sich sofort wieder zusammen, streckte sich nach einer Serviette auf dem Teller mit den Zimtschnecken, putzte sich die Nase und nickte. Annika ließ sie los.
    »Ich weiß nicht, ob es sie interessiert«, sagte sie, »aber sie haben es sich jedenfalls notiert. Am Samstag war ich so durcheinander, dass ich nichts davon gesagt habe, aber gestern habe ich angerufen, und dann kamen sie und holten den Sessel und suchten an den Türen und Möbeln nach Fingerabdrücken.«
    »Und die Waffe?«
    »Die haben sie schon am Samstag mitgenommen, meinten aber, das sei reine Routine.« »Kurt war bei der Landwehr?« Gunnel Sandström nickte.
    »Schon immer«, antwortete sie. »Offiziersausbildung bei der Kampfschule der Landwehr in Vällinge.«
    »Wo verwahrte er seine Waffe?«
    »Im Waffenschrank. Kurt achtete sorgfältig darauf, sie immer einzuschließen.
    Nicht einmal ich weiß, wo er den Schlüssel aufbewahrte.«
    »Dann muss er es selbst herausgeholt haben?«
    Die Frau nickte wieder.
    »Sind Sie jemals bedroht

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