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Der Rote Wolf

Der Rote Wolf

Titel: Der Rote Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Marklund
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über das wirkliche Leben der Menschen. Nichts, was wirklich von Bedeutung ist für uns, die wir hier draußen leben.«
    Sie stellte die Kanne mit einem Untersetzer auf den Tisch, setzte sich und sackte in sich zusammen.
    »Thomas, mein Mann, hat mir erzählt, dass Sie und Kurt sich in der Kommunalpolitik engagiert haben«, sagte Annika.
    Gunnel Sandström sah aus dem Fenster. Annika folgte ihrem Blick und glaubte ein Vogelhäuschen zu erkennen, das von wirbelnden Flügeln und aufspritzenden Körnerschalen umgeben war.
    »Kurt saß im Gemeinderat«, sagte die Frau, »und ich bin Vorsitzende in der Arbeitsgemeinschaft der Frauen und als Nachrückerin für den Gemeinderat vorgesehen.«
    »Für welche Partei?«, fragte Annika.
    Die Frau blickte erstaunt zu ihr auf.
    »Für die Zentrumspartei natürlich. Uns geht es um die ländlichen Regionen dieses Landes und die Interessen der Bauern. Kurt hat sich schon immer für Politik interessiert, so haben wir uns auch kennen gelernt.«
    Annika lächelte, nickte und stand auf.
    »Soll ich uns ein paar Tassen holen?«, fragte sie und ging zur Spüle.
    Gunnel Sandström sprang auf.
    »Oh, Entschuldigung, wie gedankenlos von mir, aber nehmen Sie doch wieder Platz.«
    So durfte die Frau wieder ein wenig mit Tassen und Tellern und Löffeln und Zucker und Milch und noch halb gefrorenen Zimtschnecken mit Mandelsplittern hantieren.
    »Wie haben Sie sich kennen gelernt? In der Jugendorganisation der Zentrumspartei?«, fragte Annika, nachdem Gunnel Sandström sich gesetzt und den Kaffee serviert hatte.
    »Nein, oh, nein«, antwortete die Frau. »Kurt war in seiner Jugend ein Radikaler, das waren ja viele in unserer Generation. Es hat ihn mit der grünen Welle hierher verschlagen, in eine Landkommune Anfang der siebziger Jahre. Zum ersten Mal begegnet sind wir uns dann auf einer Wegeversammlung. Kurt setzte sich dafür ein, dass die Kosten für die Instandhaltung der landwirtschaftlichen Wege solidarischer verteilt wurden. Es kam fast zu einem Aufruhr.«
    Annika holte Block und Stift aus ihrer Tasche und schrieb »Wegevers.«.
    »Dann war er nicht von hier?«
    »Er stammte aus Nyland, kam aus der Nähe von Kramfors. In Uppsala hat er Biologie studiert, und nach dem Examen kam er mit ein paar Kommilitonen hierher, um eine giftfreie Landwirtschaft zu betreiben. Ökologisch sagte man damals ja noch nicht …«
    Der Blick der Frau richtete sich wieder auf die Vögel und verlor sich in der Vergangenheit. Annika ließ ihr Zeit.
    »Die Sache lief nicht besonders gut«, fuhr sie nach einer Weile fort. »Die Mitglieder der Kommune zerstritten sich. Kurt wollte in ein Silo und einen Traktor investieren, die anderen wollten ein Pferd kaufen und lernen, wie man mit Heureitern arbeitet. Zu der Zeit waren wir bereits befreundet, sodass Kurt stattdessen hier auf dem Hof arbeitete.«
    »Sie müssen damals noch sehr jung gewesen sein«, meinte Annika.
    Die Frau sah sie an.
    »Dies ist mein Elternhaus«, sagte sie. »Kurt und ich haben den Hof übernommen, als wir im Herbst 1975 geheiratet haben. Meine Mutter lebt noch, sie wohnt in einem Heim in Östhammar.«
    Annika nickte und wurde sich plötzlich des monotonen Tickens der Küchenuhr bewusst. Sie stellte sich vor, dass dieselbe Uhr an derselben Wand über Generationen hinweg geschlagen hatte, und für einen Schwindel erregenden Moment konnte sie alle Sekunden gleichzeitig hören, in einem Wirbel, der ihr ein Fragment der Ewigkeit zeigte.
    »Daheim zu sein«, hörte Annika sich sagen. »Irgendwo auf diese Weise zu Hause zu sein.«
    »Kurt war hier zu Hause«, sagte Gunnel Sandström. »Er liebte sein Leben. Er hat in seinem ganzen Leben keinen Gedanken an Selbstmord verschwendet, das schwöre ich Ihnen.«
    Sie sah Annika an. Ihre Augen waren lebendig geworden und hatten sich in zwei blau funkelnde Feuer verwandelt. Annika ahnte ihre große Willenskraft und wusste, dass die Frau Recht hatte.
    »Wo ist er gestorben?«
    »Im Wohnzimmer«, sagte sie, stand auf und ging zu der Doppeltür neben dem Kamin.
    Annika betrat das Zimmer. Es war kälter als in der Küche, etwas feucht und stickig, ein blaugrüner Teppichboden mit Flickenteppichen darauf, ein Kachelofen in der einen Ecke und ein Fernsehgerät in der anderen, an der hinteren Wand standen sich zwei Sofas gegenüber, und unter einer hohen Leselampe, neben der ein kleiner Beistelltisch stand, war ein brauner Lederdrehsessel.
    Gunnel Sandström streckte die Hand aus, ihr Finger zitterte.
    »Dort sitzt Kurt

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