Der rote Würfel
betrunken, also genau in dem Zustand, in dem sich Casinos ihre Gäste wünschen. Er will gerade ein Bündel von fünfhundert Dollar setzen, als ich ihn vom Tisch wegzerre.
»Was soll denn das?« protestiert er. »Wir haben doch eine Glückssträhne.«
»Du kannst gewinnen und dabei trotzdem dein Unglück herausfordern. Komm, laß uns einen Kaffee trinken gehen. Ich geb’ einen aus.«
Er stolpert neben mir her. »Ich habe den ganzen Abend gearbeitet. Ich brauche jetzt ein Steak.«
»Was immer du willst.«
Der Coffeeshop im Mirage ist Tag und Nacht geöffnet. Hier kann Andy sein Steak bekommen. Er bestellt es sich medium, mit Backkartoffel. Bier will er auch, aber ich bestehe darauf, daß es statt dessen ein Glas Milch wird.
»Du machst dir den Magen kaputt«, sage ich, während wir auf unser Essen warten. Auch ich habe meine Leibspeisen – Blut einmal ausgenommen. Ich habe Grillhähnchen mit Reis und Gemüse bestellt. Eigentlich erstaunlich: Für einen Vampir esse ich jede Menge Gemüse. Nichts ist gesünder als dieses leckere Grünzeug. Na ja, eben einmal abgesehen von den leckeren roten Tröpfchen. Während ich hier mit Andy sitze, bekomme ich richtig Appetit auf Blut. Bevor ich mich ins Bett lege, werde ich mir noch irgendeinen Touristen auf der Straße vorknöpfen und ihm ein kleines Vergnügen bereiten. Das heißt, wenn ich nicht die Nacht – genauer gesagt den Tag – mit Andy verbringe. Er schaut mich an, und seine Augen glänzen. »Ich kann ihn mir im Falle eines Falles rausnehmen und auswechseln lassen«, erwidert er.
»Warum trinkst du nicht ganz einfach weniger?«
»Ich hab’ Feierabend.«
»Woher kommst du?«
Er kichert bloß. »Von hier!« Dann ist er wieder ernst. »Du bist eine total hübsche junge Frau. Aber das weißt du bestimmt schon.«
»Es hört sich trotzdem gut an.«
»Woher kommst du denn?«
»Aus dem Süden, aus Florida. Ich bin mit einem Freund für ein paar Tage hier, aber im Augenblick ist er sauer auf mich.«
»Warum?«
»Ich hab’ ihm gesagt, daß ich Schluß machen will.« Dann füge ich hinzu: »Er kann ganz schön gemein sein.« Ich schlürfe an meiner Milch und stelle mir dabei vor, daß ein bißchen Blut der Kellnerin dem Ganzen mehr Würze geben würde. »Und du? Was machst du denn so?«
»Ich bin ein verrückter Wissenschaftler.«
»Echt? Auf was bist du denn verrückt?«
»Du meinst, was für eine Art Wissenschaftler?«
»Ja. Und du arbeitest hier in der Nähe?«
Er wirkt plötzlich etwas zurückhaltender, obwohl er noch immer ziemlich betrunken ist. »Ich bin Gentechniker. Ich arbeite für die Regierung. Sie unterhalten ein Labor hier in der Stadt.«
Ich necke ihn ein bißchen: »So eins dieser strenggeheimen Labors?«
Er lehnt sich zurück und zuckt mit den Schultern. »Das hätten sie gerne. Sie fühlen sich nur dann wohl, wenn wir den vorherrschenden Wissenschaftlern aus dem Weg gehen.«
»Höre ich da so etwas wie Unmut heraus?«
»Unmut nicht. Das wäre zuviel gesagt. Ich mag meinen Job. Er hat mir Möglichkeiten eröffnet, die ich in der normalen Arbeitswelt nicht hätte. Was du heraushörst, ist wohl eher so etwas wie Frust. Die Möglichkeiten, die wir in unserem Labor herausgearbeitet haben, werden nicht voll genutzt. Wir brauchen Leute aus allen Branchen, aus aller Herren Länder.«
»Du meinst, das Labor sollte allen offenstehen?«
»Genau. Was nicht heißen soll, daß ich nicht einsähe, daß wir manche Sachen unter Verschluß behalten müssen.« Er macht eine Pause. »Vor allen Dingen in letzter Zeit.«
»Ist was Spannendes passiert?«
Er schaut weg und kichert, doch als er spricht, liegt so etwas wie Kummer in seiner Stimme. »Etwas sehr Spannendes.« Er dreht sich wieder mir zu. »Darf ich dir eine persönliche Frage stellen, Lara?«
»Na klar.«
»Wie alt bist du?«
»Rate mal«, kokettiere ich.
Er ist ziemlich durcheinander. »Ich weiß nicht. Am Tisch dachte ich, du bist so um die dreißig. Aber hier und jetzt scheinst du mir viel jünger.«
Ich hatte mich mit Make-up und Kleidung auf älter getrimmt. Mein weißes Kleid ist ziemlich lang und konservativ; um den Hals trage ich eine Perlenkette. Meinen knalligen Lippenstift habe ich mit Absicht ein wenig zu dick aufgetragen. Passend zu meiner roten Perücke trage ich einen roten Schal.
»Ich bin neunundzwanzig«, kläre ich ihn auf. Dieses Alter steht auch in meinem neuen Führerschein und meinen Ausweispapieren. »Danke für das Kompliment.« Nach einer kleinen Pause frage ich ihn:» Und wie alt bist du?«
Er
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