Der rote Würfel
Selbst für meinen neuen Jeep ist das Gelände hier zu uneben. Flink und mit gesenktem Kopf bewege ich mich auf mein Ziel zu. Wie die mystische Schlange, die in mir Gestalt angenommen hat. In mir die brennende Begierde, meine Zähne in diesen General zu versenken, den ich gestern abend gesehen habe. Er erinnert mich an Eddie. Nicht, was den verqueren Charakter dieses Psychopathen angeht, sondern seinen Größenwahn. Ich kann viel im Gesicht eines Menschen lesen. Vielleicht sogar ein wenig von seinen Gedanken. Der General will Eddie benutzen, um voranzukommen in der Welt, sie womöglich sogar beherrschen. Keine Ahnung, wo das Pentagon seine Leute herbekommt.
Von hier oben kann ich jeden Quadratzentimeter des Geländes unter die Lupe nehmen. Ich bin aufs neue verblüfft, was den Grad der Sicherheitsvorkehrungen angeht. Es scheint, als seien sie gerüstet, einen Angriff von Außerirdischen abzuwehren. Während ich auf der Lauer liege, landet gerade ein schnittiger, fast raketenförmiger Jet auf der Piste. Er sieht nicht aus wie irgendein anderer Jet, den ich zuvor gesehen habe, und ich vermute mal, daß er Mach 10, also zehnfache Schallgeschwindigkeit drauf hat – und daß der Kongreß von seiner Existenz nicht das geringste ahnt.
Mein Geigerzähler zeigt an, daß die radioaktive Strahlung hier dreimal so hoch ist wie normal, aber doch immer noch unterhalb des kritischen Bereichs liegt. Ich bin einigermaßen verwirrt. Radioaktivität kann für den fluoreszierenden Effekt auf meiner Haut nicht verantwortlich sein. Die hohe Strahlung deutet aber darauf hin, daß sich hier in der Nähe nukleare Sprengköpfe befinden. Wahrscheinlich sitze ich sogar gerade mitten darauf, und sie lagern in den Höhlen, die das Militär in den Hang hineingegraben hat. Daß es die Höhlen gibt, weiß ich mittlerweile definitiv, denn ich kann von hier aus beobachten, wie unter mir Männer und Ausrüstung auf einer MiniaturEisenbahn in den Berg hinein- und wieder herausfahren. Die Leute hier haben offenbar den besten Weg gefunden, die menschliche Rasse in Schwierigkeiten zu bringen.
Die Gefahr, die von abtrünnigen Vampiren ausgeht, ist nichts im Vergleich zu dem Wahnsinn, unbegrenzte Geldmittel an Leute auszuhändigen, die gerne »Geheimnisse« haben. Die auf ihrer Gehaltsliste solche Physiker und Chemiker und Gentechniker stehen haben, die als Kinder die Pandora angefeuert haben, ihre Büchse zu öffnen.
Wie es nun aber Andrew Kane weitgehend geschafft hat, das Werk von Arturo Evola zu wiederholen, bereitet mir doch Kopfzerbrechen. Ich habe keine Erklärung dafür.
Unter mir fährt gerade ein schwarzer Waggon in den Hang hinein. Auf ihm sitzen Soldaten. Sie rauchen und reden über ihre Schätzchen. Unvermittelt schlägt mein Geigerzähler stark aus. Die Strahlung ist nicht so hoch, daß sie Menschen direkt gefährlich werden könnte, bestätigt jedoch, daß die Jungs in Uniform gleich neben einem thermonuklearen Sprengkörper sitzen. Mir ist völlig klar – den meisten Leuten in der Regierung übrigens auch –, daß das berühmt hundertprozentige Sicherheitssystem nur ein Witz ist. Der Präsident der Vereinigten Staaten ist keinesfalls der einzige, der den Einsatz einer amerikanischen Atomwaffe befehlen kann. Vor dem Fall der Mauer lag in Westdeutschland die Befehlsgewalt über den Einsatz einer kleineren Neutronenbombe oft bei einem Leutnant. Gegenwärtig sind alle Kapitäne der Atom-U-Boote der amerikanischen Marine autorisiert, ihre Raketen auch ohne den zuvor vom Präsidenten persönlich kommenden Geheimcode abzufeuern. Begründet wird dies damit, daß der Präsident im Kriegsfall höchstwahrscheinlich als erster umkommen dürfte.
Trotzdem macht mich die Sache hier nervös.
Der General hat hier ganz sicher die Befehlsgewalt über diese Bomben. Gut zu wissen.
Ich habe genug gesehen und gehe zum Jeep zurück. Plötzlich fällt mir auf,
daß meine Beine, meine Hände und meine Arme schon wieder merkwürdig glänzen. Erneut schimmert jeder Quadratzentimeter meiner Haut wie fahles Mondlicht – nicht besonders vorteilhaft hier direkt in der Nähe eines Hochsicherheitstraktes. Macht mich viel zu sichtbar. Ich haste zum Jeep, klettere hinein und fahre erst einmal fort.
Aber noch weit vor Las Vegas biege ich ein gutes Stück von der Straße ab. Eine bizarre Idee ist mir in den Sinn gekommen.
Das Problem liegt nicht an irgendeiner Strahlung. Es hat gar nichts damit zu
tun.
Ich steige aus dem Jeep, ziehe mich nackt aus und halte dem Mond
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