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Der rote Würfel

Der rote Würfel

Titel: Der rote Würfel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Pike
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Unglücken: Sie geschehen oft gerade auf dem Höhepunkt des Glücks.
Ralph glitt aus und stürzte dreißig Meter in die Tiefe. Er brach sich das Rückgrat und litt entsetzliche Schmerzen, als ich zu ihm kam. Ich, der ich so viel Schmerz in meinem Leben gesehen hatte, war durch und durch erschüttert. All die Jahrhunderte hatten mich nicht abgestumpft. Gerade noch war er ein quicklebendiger junger Mann gewesen, und nun würde er für den Rest seines Lebens ein Krüppel sein.
Ich liebte Ralph über alles. Er war wie ein Sohn für mich.
Wahrscheinlich habe ich deshalb das getan, was ich getan habe.
Ich brauchte keinen Vampir aus ihm zu machen, um ihm zu helfen.
Ich öffnete mir die rechte Pulsader und ließ das Blut dorthin strömen, wo seine zerschmetterte Wirbelsäule die Haut durchstoßen hatte. Die Verletzung heilte rasch ab, und die Knochen fügten sich wieder zusammen. Es schien, als würde er gänzlich genesen. Noch besser war, daß er den Grund dafür nicht mitbekam. Er war ganz einfach überzeugt davon, Glück gehabt zu haben.
Doch im Leben gibt es Glück und Unglück.
Arturo beobachtete mich, während ich Ralph behandelte. Er sah alles.
Er wollte wissen, wer ich war. Was ich war.
Es fällt mir sehr schwer, die Menschen, die ich liebe, zu belügen.
Also erzählte ich ihm alles. Selbst das, was Krishna mir gesagt hatte. Die Erzählung dauerte eine ganze Nacht. Als ich fertig war, begriff Arturo, warum ich die Geschichte lieber im Dunkeln hatte berichten wollen. Er verfiel jedoch nicht in Panik. Er war ein erleuchteter Priester, ein Alchemist, der eine Antwort suchte auf die Frage, warum uns Gott überhaupt erschaffen hat. Er war sogar sicher, diese Antwort gefunden zu haben. Wir waren hier, um so wie Gott zu werden. Um so zu leben wie sein gepriesener Sohn. Und dafür brauchten wir bloß ein kleines bißchen vom Blut Christi.
Arturo war überzeugt, daß Krishna mich aus einem bestimmten Grund heraus hatte leben lassen.
Damit mein Blut die Menschheit vor sich selbst retten würde.
Von Beginn an beunruhigte mich, wie er Christus und Vampire in einen Topf warf.
»Aber ich mache niemanden mehr zum Vampir!« protestierte ich.
Voller Ungeduld nahm er mich bei der Hand und starrte mir in die Augen. Er war wie im Fieber; ich merkte die Glut in seinen Fingerspitzen, in seinem Atem. Wessen Seele spürte ich denn hier eigentlich? Meine oder seine? Es schien, als seien wir beide miteinander verschmolzen. Unausweichlich klangen dann auch die Worte, die er folgen ließ.
»Nein, wir machen niemanden mehr zum Vampir«, sagte er. »Mir ist klar, warum Krishna dir dieses Versprechen auferlegt hat. Was wir mit deinem Blut machen, ist ein neuer Mensch. Eine Kreuzung von Mensch und Vampir. Ein Wesen, das ewig lebt, im Glanze des Lichtes und nicht im Schatten der Finsternis«. Sein Blick verirrte sich auf das hölzerne Kruzifix über seinem Bett. »Ein unsterbliches Wesen.«
Er sprach mit ungeheurem Nachdruck. Und er war nicht verrückt.
Ich brauchte eine Zeitlang, um die Bedeutung seiner Worte zu erfassen.
»Ist so etwas denn möglich?« flüsterte ich.
»Es ist.« Er nahm mich in die Arme. »Ein Geheimnis habe ich dir noch nicht verraten. Es ist außergewöhnlich. Es ist das Geheimnis ständiger Verwandlung. Mit den geeigneten Materialien – zum Beispiel mit deinem Blut – kann ich alles verändern. Wenn du möchtest, kannst du ein solches Mischwesen werden. Ich kann dich sogar wieder zu einem Menschen machen.« Er hielt inne. Vielleicht dachte er an meinen uralten Schmerz über den Verlust von Lalita, meiner Tochter. Ihm war klar, daß meine Unfruchtbarkeit der Fluch meines nicht endenden Lebens war. Es mußte ihm einfach klar geworden sein, denn er fügte hinzu: »Du könntest ein Kind bekommen, Sita.«
    5.
KAPITEL
    Gegen Mitternacht kehre ich zu dem Gelände zurück. Ich möchte die Anlage von außen einmal näher in Augenschein nehmen. Angezogen habe ich mich von oben bis unten in Schwarz, trage eine Uzi über der Schulter, ein Hochleistungsfernrohr in der einen, einen Geigerzähler in der anderen Hand. Daß meine Haut vorübergehend diesen merkwürdigen Glanz ausgestrahlt hat, beunruhigt mich nach wie vor. Ob sie mit Joel irgend etwas Merkwürdiges anstellen – ihn einer Bestrahlung aussetzen?
    Als idealen Aussichtspunkt, von dem aus ich das Gelände überblicken kann, habe ich mir den Gipfel des Hangs ausgewählt, in den die Militärbasis hineingegraben ist. Um dorthin zu gelangen, muß ich ein Stück zu Fuß gehen.

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