Der rote Würfel
Schweißperlen auf der Stirn stehen.
»Wie heißt du?«
»Fahr zur Hölle!« flucht er und geht um uns herum, um in gute Schußposition zu kommen.
»Das kann doch nicht dein Name sein«, versetze ich. «So hätte dich deine Mutter nie genannt. Macht aber nichts. In einer Minute wirst du sowieso ein Nichts sein. Möchtest du noch etwas sagen, bevor ich dich umbringe?«
Wütend bringt er hervor: »Wem sagen?«
Ich zucke mit den Schultern. »Weiß nicht. Gott vielleicht. Glaubst du an Gott?«
Ich bringe ihn total auf die Fahne. »Du perverses Miststück.«
Ich nicke ernst. »Pervers bin ich wirklich.« Das ganze Gewicht meines Blickes richtet sich auf seine Augen. Er sieht jetzt nur noch meine abgrundtiefen Pupillen, die für ihn zu riesigen schwarzen Löchern anwachsen. Ganz langsam und sehr leise spreche ich ihn an:»Und jetzt, guter Mann, nimmst du den Revolver und steckst ihn dir in den Mund.«
Einen Moment lang verharrt er regungslos.
Dann macht er wie in Trance den Mund auf und schiebt sich den Revolver zwischen die Lippen.
»Nicht, Chuck!« schreit Tex. »Hör nicht auf sie! Sie will dich hypnotisieren!«
»Und jetzt möchte ich, daß du den Abzug drückst«, fahre ich mit der gleichen durchdringenden Stimme fort. »Ich will, daß du Druck auf den Abzug ausübst. Nicht genug, um die Kugel abzufeuern, aber doch fast genug. Na siehst du, prima, hast du gut gemacht. Du stehst einen Millimeter vom Tod entfernt.« Ich mache eine Pause und schwäche die Wirkung meines Blicks ab. Meine Stimme wird wieder normal. »Wie geht’s dir jetzt?«
Der Mann kneift kurz die Augen zusammen und bekommt erst in diesem Augenblick mit, daß er den Revolverlauf im Mund hält. Fast erleidet er einen Herzanfall. Er ist derart erschrocken, daß er die Waffe einfach fallen läßt. »Mein Gott!« ruft er aus.
»Na bitte,« sage ich. »Du glaubst ja doch an Gott. Und weil ich das auch tue und immer nur Blut von einem Menschen trinken kann, will ich dich für heute mal davonkommen lassen. Husch, husch, deinen Kumpels in die Wüste hinterher, bevor ich mir’s noch anders überlege.«
Der Mann nickt. »Alles klar.« Weg ist er.
»Chuck!« schreit Tex. »Komm zurück!«
»Zurück kommt der nicht mehr«, erkläre ich Tex mit ernstem Gesicht. »So eine Loyalität kannst du nicht einfach kaufen. Mich jedenfalls kannst du ganz sicher nicht kaufen.« Ich halte inne. »Jetzt hast du aber doch begriffen, was ich mit Abendessen meine, oder?«
Er weint wie ein Kind. »Bitte, bitte! Ich will nicht sterben!«
Ich ziehe ihn näher an mich heran und hauche ihm meinen Lieblingsspruch in die Ohren.
»Dann hättest du nie geboren werden dürfen«, sage ich.
Mit herzhaftem Appetit mache ich mich an mein Mahl.
Nachdem ich meinen Durst gestillt und den Texaner weit von seinem Auto entfernt begraben habe, unternehme ich noch einen Spaziergang in die Wüste. Ich bin zwar nicht mehr durstig, doch gehen mir eine Menge Gedanken durch den Kopf. In ein paar Stunden ist Andy fertig mit der Arbeit. Ich muß einen Plan schmieden, wie ich ihn dazu bringen kann, mich bei meinem Vorhaben zu unterstützen. Doch ich kann mich nicht richtig konzentrieren. Ständig habe ich das Gefühl, daß mir etwas ganz Wichtiges bei der Sache entgeht. Ich lasse den vergangenen Tag noch einmal vor meinem inneren Auge vorbeilaufen, und mir ist klar, daß wirklich ein Mosaikstück im Puzzle fehlt. Irgendwo steckt es, dieses Stückchen, irgendwo jenseits meiner Vorstellung. Aber wo?
Arturos Geist verfolgt mich. Die Welt hat nie begriffen, was sie an ihm verloren hat. Welche Trauer sollte noch größer sein als meine? Wie hätte man ihn wohl in Erinnerung behalten, wenn es keine Inquisition gegeben hätte? Keine Sita und auch kein Zauberblut, das ihm seine Träume vergiftete. Vielleicht würde man ja heute seinen Namen in einem Zug mit dem von Leonardo da Vinci oder Einstein aussprechen. Es macht mich traurig, an die verpaßten Gelegenheiten zu denken. Arturo, der Alchemist, der Begründer einer geheimen Wissenschaft.
»Was hast du nur mit Ralph gemacht?« spreche ich laut vor mich hin. »Warum hast du es getan? Wieso wolltest du nicht mit mir sprechen, als wir beide im Kerker steckten?«
Aber sein Geist stellt auch mir Fragen.
Warum hast du es so eilig gehabt, Ralph zu töten?
»Das mußte ich«, antworte ich der Nacht.
Warum hast du mich verraten, Sita?
»Ich mußte«, sage ich erneut. »Du warst außer Kontrolle.«
Ich habe dich nie verraten, Sita. Dabei warst du doch die wahre Hexe. Ein
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