Der rote Würfel
überhaupt? Sind die HIV-Tests noch immer negativ?« »Ja, ja, mir geht’s gut. Mach dir keine Sorgen um mich. Wann triffst du Andy
wieder?«
»In ein paar Stunden, kurz vor Tagesanbruch. Wenn er dann abends wieder
zur Arbeit geht, fahre ich als blinder Passagier bei ihm im Kofferraum mit.« »Du brauchst seine Hilfe. Du kannst nicht das ganze Gelände nach Joel
absuchen.«
»Andy wird mir schon helfen. So oder so.« Eine Weile sagen wir beide nichts.
»Kannst du mir noch irgend etwas sagen, das mir vielleicht helfen könnte?« »Na ja: Üb einfach ein bißchen diesen Schwebetrick. Könnte dir noch mal
ganz gelegen kommen.«
»Ich weiß gar nicht, wie das zustande kommt.«
»Bestimmt doch dank Yakshas Blut. Er muß diese Fähigkeit über die
Jahrhunderte entwickelt haben. Konnte er denn fliegen, als du ihm in Indien
begegnet bist?«
»Gezeigt hat er mir es jedenfalls nie.«
»Ihr Vampire steckt eben voller Überraschungen.«
Ich seufze. »Du willst unbedingt so werden wie ich. Du bist neidisch auf
meine übernatürlichen Kräfte. Du weißt ja gar nicht, wie neidisch ich auf dich
bin.«
Das überrascht Seymour. »Was habe ich denn, das du gerne haben würdest?« Ich muß an Lalita, meine Tochter, denken.
Aber in dieser Nacht der Nächte kann ich nicht über Kinder reden. »Du bist menschlich«, antworte ich nur.
11.
KAPITEL
Als Andy in meine Suite kommt, wirkt er gestreßt, aber auch aufgeregt. Kaum ist er drinnen, drücke ich ihm einen festen Kuß auf die Lippen. Er will mehr und versucht, mich an sich zu ziehen. Aber ich stoße ihn zurück.
»Später«, flüstere ich. »Der Abend ist doch noch lang.«
»Es ist fast schon Morgen«, verbessert er mich in Anlehnung an meinen eigenen Spruch von vergangener Nacht.
Ich wende mich ab. »Zuerst will ich spielen.«
Für einen wirklich heruntergekommenen Spieler – so viel weiß ich – sind Würfel noch besser als Sex.
»Also los, Lara«, sagt er dann auch prompt.
Wir gehen runter ins Casino. Weihnachten steht vor der Türe, aber es ist trotzdem brechend voll. Die Vorstellung von einer Atomexplosion draußen auf der Straße läßt mich nicht los. Natürlich wird so etwas nie geschehen. Selbst wenn wir einen Nuklearsprengkopf auf dem Gelände zünden, wird er Las Vegas nicht in Mitleidenschaft ziehen, von ein bißchen radioaktivem Niederschlag mal abgesehen, falls der Wind ungünstig steht. Bedeutet Seymours Vision, daß ich Erfolg habe oder daß ich scheitere?
Ein leuchtender Engel, der über die Erde fliegt!
Wir spielen Würfel, und ich bin dran. Ohne vorher noch einmal geübt zu haben, gewinne ich zehnmal in Folge, und der ganze Tisch feuert mich an. Andy setzt eine Menge ein, gewinnt viel und trinkt noch mehr. Er ist blau, noch bevor wir den Tisch verlassen. Ich schimpfe mit ihm.
»Wie kannst du eigentlich Wissenschaftler sein und dir ständig die Gehirnzellen abtöten?« will ich wissen. Er lacht nur und legt mir den Arm um die Schultern. »Liebhaber sein gefällt mir ja auch besser als Wissenschaftler sein.«
Wir gehen die Straße hinunter zum nächsten Casino, dem Excalibur. Hier ist sogar noch mehr los. Diese Stadt schläft nie. Wir spielen Blackjack, Siebzehn und vier. Ich zähle die Karten und riskiere nur dann viel, wenn die Chancen für die Spieler gut stehen. Doch selbst perfektes Zählen bringt in diesem Spiel nur begrenzten Vorteil, und wir gewinnen nichts mehr. Andy zerrt mich wieder zum Würfeltisch. Das ist sein Lieblingsort. Als ich an der Reihe bin, werfe ich wieder sechs Gewinne in Folge. Es liegt jedoch gar nicht in meinem Interesse, daß Andy viel gewinnt und schuldenfrei wird. Als die Sonne langsam aufgeht, schleppe ich ihn zurück ins Mirage, in meine Suite. Kaum angekommen, fällt er der Länge nach erschöpft aufs Bett.
»Ich hasse das, was ich tue,« murmelt er in Richtung Zimmerdecke.
Zu blöd, daß ich seine Gedanken nicht lesen kann. Muß am Alkohol liegen. Ich setze mich neben ihn. »Schon wieder ein harter Arbeitstag?«
»Ich sollte nicht darüber reden.«
»Darfst du aber. Mach dir keine Sorgen, ich kann Geheimnisse für mich behalten.«
»Mein Chef ist verrückt.«
»Der General?«
»Ja. Er ist komplett durchgedreht.«
»Wie meinst du das? Was macht er denn?«
Andy richtet sich wieder auf und schaut mich mit blutunterlaufenen Augen an. »Weißt du noch, als ich dir erzählt habe, daß wir ganz nah an einer erstaunlichen Entdeckung dran sind?«
»Ja. Du hast gesagt, es sei eine der bedeutendsten Entdeckungen der Neuzeit.« Ein
Weitere Kostenlose Bücher