Der Rubin der Oger
Haares an der Oberfläche trieben. Von Zeit zu Zeit stiegen Blasen an die Oberfläche und zerplatzten dort, bis seine Lungen vollständig mit Wasser gefüllt waren.
Es dauerte fast eine Stunde, ehe Elliah dem Wasser entstieg. Er war es zweifellos, das verschlagene Lachen verriet ihn ebenso wie seine Augen, doch der gesamte Körper war wie ausgewechselt. Aus dem greisen Alten war ein kräftiger Jüngling geworden.
Elliah schlang seinen durchnässten Mantel um sich und hielt auf den Elfenwald zu. Das Moor und das dahinterliegende Land hatten sich verändert, seitdem das Wasser in die rote Wüste geflossen war. Die einstige Heimat von Grind, dem letzten Trollkönig, hatte sich von einer fast ausgetrockneten Hochmoorlandschaft in ein übelriechendes Sumpfgebiet verwandelt. Der sonst so fruchtbare Boden und die üppige Pflanzenwelt waren vom Salz des Meerwassers vergiftet. Pflanzen und Tieren fehlte es an trinkbarem Nass. Wer es schaffte, dieser unwirtlichen Gegend zu entkommen, war in Sicherheit, der Rest siechte dahin.
Die ersten Sonnenstrahlen erhellten das Blätterdach des Waldes, als Elliah seinen Fuß in das vergangene Reich der Elfen setzte. Jeder dieser Bäume hatte ein unvorstellbares Alter erreicht. Sie waren ewig. Es hatte sie bereits zu einer Zeit gegeben, in der die Kontinente noch eins waren und das Land keinen Namen hatte. Die Magie der Elfen schützte sie; selbst dann noch, als sie schon lange verschwunden waren. Für die Elfen war es ein heiliger Ort, für Elliah nur das Ende einer langen Suche. Ihm war der Wald egal, er wollte nur diesen einen Baum finden – Mystraloon. Und das auch nur, weil der Baum in seinem Inneren die Macht der Götter trug. Bald würde Elliah die Macht haben, und dann gäbe es nur noch ihn – Illistanteè.
Auf der Reise, die Elliah bestritten hatte, war er niemals völlig allein gewesen. Sein Volk und seine Untertanen waren immer bei ihm, wenn auch nur in seinen Gedanken, die so mächtig waren, dass er mit ihnen alles bewirken konnte. Dieser Ort jedoch war anders. Er spürte Blicke auf seiner Haut und fühlte schmerzvolle Gedanken in seinem Kopf. Dunkle Augen starrten ihn aus dem Dickicht des Waldes an.
»Grämt euch nicht, meine Kinder«, sagte Elliah, während sein Blick umherschweifte. »Auch wenn ihr euch immer noch zu eurer alten Heimat hingezogen fühlt, bedeutet das nicht, dass ihr sie nicht vergessen werdet. Schon bald wird nichts mehr hier an die Elfen erinnern, und auch dieser Ort wird sich nicht mehr an euch erinnern. Überall wird euer Zuhause sein. Überall, wo meine Gegenwart spürbar wird. Ich werde allgegenwärtig sein.«
Unbehelligt setzte Elliah seinen Weg fort.
Immer tiefer drang er in das Herz des Elfenwaldes ein. Lange Bodendecker rankten an den dicken Baumstämmen empor und verdeckten deren Rinde fast vollständig. Überall hatten sich Flechten, Moose und Pilzschwämme angesiedelt. Jedes Fleckchen Erde wurde von der Vegetation genutzt. Selbst die kleinsten Pflanzen reckten ihre Blätter den zaghaften Sonnenstrahlen entgegen, die durch das dichte Blätterdach auf den Waldboden fielen.
Der lange Weg schien Elliah nicht zu ermüden. Im Gegenteil, mit jedem Schritt, der ihn seinem Ziel näher brachte, wurden seine Sinne wacher, und er gewann neue Lebenskraft. Die Sonne hatte ihren Zenit schon erreicht, und auch wenn das nahezu undurchlässige Blattwerk kaum erahnen ließ, wie weit der Tag schon fortgeschritten war, wusste Elliah dennoch, dass er am Ziel seiner Reise angelangt war.
Vor ihm lag ein kleiner Weiher, der kaum größer war als eine Pfütze. Das Gewässer schien hier fehl am Platz zu sein. Viele Pflanzen waren von dem sonst so lebenswichtigen Element umspült worden und versuchten, ihre Blätter und Stängel vor dem Ersticken zu retten. Nicht weit dahinter stand ein einzelner, kaum sechs Schritte hoher Baum inmitten seiner gigantischen Brüder, die ihr dichtes Blätterdach über ihn geschoben hatten und nur spärliches Licht zu ihm durchdringen ließen. Seine knorrigen Wurzeln hatten sich im Laufe der Zeit über dem Erdreich ausgebreitet und suchten breitflächig nach Halt und Nahrung. Der rissige Stamm war mehrfach verdreht, als habe sich die Wuchsrichtung des Baumes in den vielen hundert Jahren immer wieder geändert. Die kargen Äste waren an den meisten Enden verdorrt, und nur wenige Blätter schmückten das grotesk und zugleich traurig wirkende Geäst.
Aus dem Schatten des Stammes löste sich die hagere Gestalt eines Nesselschreckens.
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