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Der Rubin der Oger

Der Rubin der Oger

Titel: Der Rubin der Oger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Russbuelt
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Bis jetzt war alles so gekommen, wie man ihr prophezeit hatte. Sie war nicht mehr als ein Rädchen in dieser Prophezeiung. Jetzt aber lag es an ihr, den weiteren Weg zu bestimmen.
    Das Publikum war immer noch außer sich. Von den oberen Rängen drängten stets mehr Leute nach unten. Die ersten Wachen hatten die Flucht angetreten und sprangen in die Arena. Die Soldaten hatten alle Mühe, die aufgebrachte Menge im Zaum zu halten. Mit ihren Schilden versuchten sie, die Menschen zurückzudrängen, um die Situation nicht eskalieren zu lassen. Wenn es einen richtigen Zeitpunkt gab, um die kleine Phiole unter dem Thronsitz zu platzieren, dann war es dieser. Cindiel warf Finnegan noch einen letzten Blick zu und rang sich ein verzweifeltes Lächeln ab.
    Tordek, der Gastwirt aus der Goblinschmiede , hatte ihr erst in den frühen Morgenstunden mitgeteilt, dass sie in der Arena arbeiten und den Hofstaat bedienen sollte. Er hatte ihr ein sauberes Kleid von Isabell gegeben und sie angewiesen, die Haare hochzustecken. Auf die Frage, wer sie sei, sollte sie antworten, dass sie Myrie vertrete und sonst in der Wäscherei arbeite. Von den anderen Bediensteten hatte sie erfahren, dass Myrie heute Nacht plötzlich von einem Fieber heimgesucht worden war und in den nächsten Tagen ausfallen würde.
    Lord Sigurt saß mit seinem Hofstaat in einem abgetrennten Bereich. Im Gegensatz zu dem Chaos auf den Rängen herrschten hier nach wie vor Ruhe und Ordnung.
    Tordek hatte Cindiel noch schnell in die Regeln eingewiesen, die für Dienstboten galten. Für eine Hexe und das Wirken eines Zaubers war es unerlässlich, sich an immer wiederkehrende, gleiche Verhaltensmuster zu erinnern. Deshalb hatte die junge Frau immer geglaubt, es gäbe nichts Schwierigeres, als Magie anzuwenden. Doch jetzt hatte man sie eines Besseren belehrt. Das Leben als Dienstbote eines paranoiden Königs war weitaus schwieriger. Es gab mehr Vorschriften am Hofe als Gesetze in Nelbor.
    Niemals unaufgefordert sprechen, keinen direkten Blickkontakt, immer nur mit einer Hand servieren, niemals von hinten nähern ... ging sie die Liste in Gedanken durch.
    Cindiel wusste es aus vielen schmerzhaften Erfahrungen: Ein einziger Fehler, und der Zauber war verloren, die Finger waren verbrannt, der Verletzte war tot, oder – ein machthungriger Tyrann wurde König. Was sie heute zu tun gedachte, war eminent wichtig, für jeden in Nelbor. Ihr durfte kein Fehler unterlaufen.
    Auch für Lord Sigurt war heute ein wichtiger Tag, wahrscheinlich der wichtigste in seinem ganzen verlogenen Leben. Als Cindiel ihn heute Morgen das erste Mal gesehen hatte, hatte er äußerst entspannt und gut gelaunt gewirkt. Noch während Mogda in die Arena einlief, hatte er gelacht und Scherze über die Körperfülle des Ogers gemacht. Hofmagier Libriandus saß zu seiner Rechten, und Cindiel sah, dass es ihm schwerfiel, sich auf die Scherze des zukünftigen Königs einzulassen. Sein Lächeln wirkte aufgesetzt und gequält. Im Gegensatz dazu schien sich Losan, der Hauptmann der Stadtwachen, köstlich zu amüsieren; jedenfalls bis zu jenem Zeitpunkt, als die beiden Gladiatoren tot in den Staub sanken. Losan wollte einschreiten, doch Lord Sigurt hielt ihn zurück. Er hatte für den Oger einen spektakulären Tod in der Arena vorgesehen, und niemand sollte seine Pläne durchkreuzen. Er hatte die Tore öffnen lassen, um jeden kampfbereiten Gladiator auf den siegreichen Koloss zu hetzen, doch irgendjemand hatte es geschafft, ihm einen Strich durch die Rechnung zu machen. Kein Gladiator war erschienen. Jetzt saß er unruhig da, sein triumphierender Gesichtsausdruck war verflogen, und auch zu Scherzen war er nicht mehr aufgelegt.
    Hauptmann Losan hatte alle Hände voll zu tun, seine Wachen unter Kontrolle zu halten. Cindiel glaubte, den Anflug echter Erheiterung in Libriandus Gesicht zu sehen. Lord Sigurt schäumte vor Wut.
    Jetzt oder nie , sagte sich Cindiel.
    Sie tastete nach der Phiole in der Tasche ihres Kleides. Immer noch war ihr unklar, wie das Gift aus dem kleinen geschliffenen Kristallbehälter in den Körper von Lord Sigurt gelangen sollte. Ihr war kein Gift bekannt, das seine Wirkung durch die bloße Nähe zum Opfer entfalten konnte. Doch ihr blieb nichts anderes übrig, als sich auf das zu verlassen, was Haran gesagt hatte.
    Cindiel nahm die goldene Karaffe mit dem Rotwein und machte sich auf ihren Rundgang. Die meisten Edelleute waren zu abgelenkt, um auf Cindiel zu achten.
    Sie hatte die Empore des

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