Der Rubin der Oger
einer Weile sammelte sich Flüssigkeit in seinen Augen, doch bevor der erste Tropfen sich von seinen Lidern lösen konnte, wendete sich der junge Mann von ihm ab.
»Ich sehe, ich habe den Richtigen ausgewählt. Das Blut, das in deinen Adern fließt, hat mir vor langer Zeit schon einmal gute Dienste geleistet.«
»Grind«, brummte Nokrat mit einem wohligen Unterton.
»Richtig, Grind. Er war ein tapferer Krieger und ein guter Anführer für sein Volk. Was ihn aber besonders auszeichnete, war sein Hass gegen alle ›Hüttenbauer‹, wie er sie nannte. Ich frage mich jetzt – wie steht es mit dir?«
Nokrat griff sich einen Felsbrocken und hielt ihn über den Kopf, bereit, den Stein zu zerschlagen. Seine Augen verengten sich, und er entblößte die verrotteten Hauer. Dann schlug er zu. Der Stein in seiner Hand krachte auf die Felsen, und Staub wirbelte auf. Die Wucht des Schlages zertrümmerte den Felsen in zahllose Brocken, die in alle Richtungen davonstoben.
»Das Blut meiner Ahnen ist nicht dünner geworden, und der Hass in meinen Adern ist stark wie eh und je. Mit dem Tod von Grind hat unser Volk geschworen, jeden Hüttenbauer zu töten, den wir in unsere Klauen bekommen.«
Der junge Mann griff in den Sand und ließ die Kiesel aus seiner Faust rieseln. Dann öffnete er die Hand und pustete den restlichen Staub in Nokrats Gesicht.
»Es wird Zeit, unsere Feinde vom Antlitz dieser Welt zu wischen. Hast du getan, worum ich dich gebeten hatte?«
»Ja, hundertsechzig Kreaturen Tabals habe ich um mich geschart, die darauf warten, meinen Befehlen zu folgen.«
»Gut, dann ziehe los und vollende die Aufgaben, an denen ihr vor sechs Jahren so kläglich gescheitert seid.«
Nokrat wich einige Schritt zurück.
»Wir sind zu wenige. Die Zwerge bewachen die Minen wie ihre eigen Feste. Sie werden uns töten, ohne dass wir etwas erreicht haben.«
»Du fürchtest den Tod? Dein Blut scheint so dünn wie Wasser geworden zu sein.«
Sofort hatte Nokrat wieder einen Felsbrocken in der Hand, doch diesmal zielte er auf den Kopf des Mannes.
»Seit Jahren lachen die Menschen und Zwerge über euch Trolle. In ihren Augen seid ihr nichts weiter als Abschaum. Selbst die Orks zollen euch nicht mehr den Respekt, der euch einst gebührte. Ihr seid nichts weiter als schwache, behaarte Oger, die sich in den Bergen verstecken, weil jeder sie töten kann.«
Nokrats Blut begann zu kochen. Schon ewig hatte niemand mehr gewagt, so mit ihm zu sprechen. Er konnte nicht anders, er musste jemanden töten, jetzt. Der Stein prallte gegen die Stirn des Mannes und zerbarst dort. Keinen Schritt wich der Mann zurück. Er taumelte nicht, und er blutete nicht. Zwei Splitter steckten in seiner Schläfe, aber es gab keinen Wundrand.
Nokrat stand nur da und wartete auf eine Reaktion. Aber außer, dass der Mann sich ruhig die Splitter aus der Schläfe zog, passierte nichts.
»Ich nehme das als eine Art Prüfung, um mir vertrauen zu können«, sagte der Mann, »aber wenn du oder einer deiner Sippe es je wieder wagen sollte, die Hand gegen mich zu erheben, werde ich euch alle töten. Alle, ohne Ausnahme. So, jetzt geh und tu, wie dir befohlen wurde!«
12
Brennende Pilze
Cindiel bahnte sich mit verärgertem Gesicht den Weg zurück durch die Dornenbüsche.
»Was ist denn jetzt schon wieder?«, keifte sie Mogda an, der auf der kleinen Lichtung hockte und sich den Knöchel hielt.
»Nicht wieder, immer noch«, gab der Oger zurück. »Die Verbrennung macht mir zu schaffen. Bei jedem Schritt brennt es wie Feuer.«
Drei Tage war es nun her, seit sie die Flucht aus Osberg hatten antreten müssen. Nachdem sie die Gitter der Kanalisation aufgebrochen hatten, waren sie nordwärts geflohen, weitab von allen Ortschaften und Straßen. Immer wieder hatten sie sich Zeit genommen, das hinter sich gelassene Gelände zu beobachten, doch sie hatten keine Verfolger ausmachen können, weder Soldaten noch auf Rache sinnende Händler. Am Fuß der Berge waren sie nach Osten abgebogen, um im Tannenverlies nach Antworten zu suchen, Antworten auf das Verhalten der Goblins und die wundersame Wirkung der Trommelbeeren.
»Bei den Göttern, was soll ich denn noch tun, ich habe mich doch schon entschuldigt«, stöhnte Cindiel. »Nach dem Verzehr der Trommelbeeren war ich wie im Rausch. Ich weiß auch nicht, woher diese Angriffslust in meinen Zaubern kam. Heilzauber, Linderungszauber, Salben und Tränke – ich habe alles versucht, um dir die Schmerzen zu nehmen, aber magische Wunden
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