Der Rubin der Oger
früher erwartet.
»Wir suchen die Hexe und den Oger. Wenn wir sie haben, finden wir heraus, was wirklich passiert ist.«
»Ich meinte eigentlich, warum ausgerechnet wir hier sind?«
»Lord Felton dachte wahrscheinlich, er braucht jemanden mit Erfahrung; jemanden, der die beiden kennt und nicht zu viel Wirbel macht. Und außerdem bin ich entbehrlich.«
Barrasch gab seinem Pferd die Sporen und lenkte es in östlicher Richtung weiter in den Wald hinein.
»Und warum habt Ihr mich als Begleitung ausgesucht?«, rief Finnegan ihm hinterher.
»Mit irgendwas muss ich den Oger doch anlocken.«
Diese Aussage tat ihre Wirkung. In den folgenden Stunden sprachen sie kein Wort miteinander. Der Wald wurde immer dichter, und sie mussten die Pferde vorwärtstreiben, damit sie nicht vor dem Dickicht scheuten. Immer häufiger mussten sie sich weit über den Pferderücken beugen, um den schweren Ästen zu entgehen. Oft verfing sich ihre Ausrüstung in den Zweigen, und sie mussten darauf achten, dabei nicht die Hälfte zu verlieren. Ihr Vorankommen wurde immer langsamer und beschwerlicher, doch die Pferde zurückzulassen kam nicht in Frage. Im offenen Gelände hätten sie so jede Chance vertan, die Flüchtigen weiterzuverfolgen.
Barrasch war kurz davor, den Rückzug anzutreten und das Dickicht zu umrunden, als ihm ein süßlicher Geruch in die Nase stieg.
»Riechst du das auch, Finnegan?«, erkundigte er sich.
Der junge Soldat schnüffelte wie ein Fährtenhund.
»Es riecht süßlich, wie in einer Bäckerei.«
Barrasch gab das Zeichen zum Absitzen. Behutsam tasteten sich die beiden Männer vorwärts, immer dem süßlichen Duft folgend. Der Geruch wurde intensiver, und mit der Zeit rief er eine gewisse Übelkeit bei den beiden Soldaten hervor. Ein lautes Niesen ließ sie innehalten und ihre Schwerter blankziehen. Barrasch bedeutete Finnegan, sich zu trennen und dem Ursprung des Geräusches von zwei Seiten auf den Grund zu gehen. Vorsichtig krochen sie über den Waldboden. Finnegan löste seine überflüssige Ausrüstung vom Gürtel. Er war jung und unerfahren, das wusste er, doch er wollte auf keinen Fall einen Fehler begehen, der sie in Gefahr brachte. Wenn durch sein Versagen der größte Soldat der Stadt und engste Freund von Lord Felton umkommen würde, könnte er in Osberg nicht einmal mehr als Torwache dienen.
Akribisch befreite er den Waldboden vor sich von vertrockneten Blättern und Ästen. Er zwängte sich unter den niedrigsten Zweigen hindurch, um ja kein verdächtiges Geräusch zu machen. Nach einer Weile erreichte er eine Stelle, auf der ein Dutzend der gigantischen Bäume gefällt und zu einem Stapel zusammengelegt worden waren.
Über den letzten Stamm hinweg sah er das Haupt eines Ogers, das sich von Zeit zu Zeit schüttelte und dabei die filzigen Zöpfe umherwarf. Auf allen vieren kroch Finnegan aus seinem Versteck zu den mächtigen Stämmen hinüber. Vorsichtig umrundete er das Hindernis.
»Hör endlich auf mit dem Unsinn, mir ist schon ganz schlecht«, sagte eine Frauenstimme.
»Es riecht aber gut«, antwortete der Oger.
Finnegan sprang hinter den Stämmen hervor und richtete seine Schwertspitze abwechselnd auf Mogda und Cindiel.
»Siehst du, mit dem Gestank lockst du jeden Strauchdieb in fünf Meilen Entfernung an«, sagte Cindiel, ohne Finnegan und dessen Bemühungen Beachtung zu schenken.
»Wenn er Sträucher stiehlt, was will er dann von uns?«, erkundigte sich Mogda, der den Soldaten ebenfalls zu ignorieren schien.
»Strauchdieb ist nur so ein Ausdruck. Man meint damit einen Räuber, der einem im Wald auflauert.«
Finnegan war zutiefst verunsichert. Ihn mit einem gewöhnlichen Räuber zu verwechseln war absurd. Sein schulterlanges, dunkelblondes Haar war gepflegt, und seine Bartstoppeln verliehen seinen Zügen einen männlich-verwegenen Ausdruck. Er war groß und schlank, im Grunde genommen ein Prachtexemplar seiner Gattung.
In der Stadt zollte man ihm und seiner Uniform Respekt, doch dieser Oger und das Mädchen ließen sich nicht einmal dadurch beeindrucken, dass er mit seinem Schwert herumfuchtelte.
»Hauptmann Barrasch!«, rief er. »Ich habe sie. Wir sind hier drüben.«
»Er hat uns«, kicherte Cindiel. »Hoffentlich fängt er nicht auch noch an, uns zu umzingeln.«
Mogda lehnte sich gelassen zurück und zerdrückte zwei Beeren zwischen seinen Fingern. Die leere Rebe schleuderte er achtlos nach hinten über die Stämme, dann streckte er die Beine aus und atmete den süßen Geruch tief
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