Der Rubin der Oger
vorgab.
Rator hatte sein Ziel, den fremden Wanderer zu stellen, nicht aus den Augen verloren, nur die Route hatte sich geändert. Anstatt nach Südwesten abzudrehen und dem Pass zur Zwergenesse zu folgen, erklommen sie nun die neu entstandene Kluft und marschierten über den Bergrücken. Große Teile des Massivs waren von der Kraft des Wassers herausgespült und von der Flutwelle weit in das dahinter liegende Land getragen worden. Riesige Gesteinsbrocken, denen das Meer nichts hatte anhaben können, ragten aus der Steilwand.
Rator hatte seinen Leuten beigebracht, an steilen Passagen wie diesen seitlich versetzt zu klettern, damit losgetretenes Geröll niemanden weiter unten erschlug. Die Vorgehensweise war immer dieselbe: Die Oger kletterten voraus und zogen ihre leichteren Begleiter an Seilen hinterher. Alles, worauf die Hüttenbauer achten mussten, war, nicht unkontrolliert gegen die Felswand zu schlagen.
Tausend Fuß hatten sie bereits hinter sich gebracht, und noch einmal die gleiche Strecke lag vor ihnen. Rator klammerte sich an einen Felsen und sah, wie die drei Seeleute neben ihm in die Höhe gezogen wurden. Gnunt stand auf dem Vorsprung über ihnen und holte das Tauwerk mit den Männern ein, wie eine Angel mit einem Köderfisch daran. Sand und kleine Steine rieselten in die Tiefe. Eine kräftige Böe peitschte den Staub umher und schlug ihn den Seeleuten ins Gesicht. Mit schmerzverzerrtem Gesicht und zusammengekniffenen Augen versuchte der oberste Mann, sich mit dem Ärmel etwas Erleichterung zu verschaffen. Das Seil darunter begann zu schwingen. Die Kameraden drohten gegen den Fels geschleudert zu werden, den Halt zu verlieren und in die Tiefe zu stürzen. Rator griff nach dem Seil, doch er konnte es nicht erreichen, es fehlten drei Fuß. Er tastete die Felswand neben sich ab und fand einen Spalt. Ohne nachzudenken rammte er seinen Arm bis zur Hälfte in die natürliche Fuge und ballte die Hand zur Faust. Seine Knöchel keilten sich zwischen das Gestein wie ein Kletterhaken und gaben ihm die Bewegungsfreiheit, die er brauchte. Er schwang sich einen Schritt hinüber und griff nach dem Tampen.
Gnunt stöhnte unter dem zusätzlichen Gewicht des Ogers, ließ aber nicht locker. Rator brachte das schwingende Seil wieder unter Kontrolle und zog sich zurück an die Felswand. Er fühlte, wie das Blut von seinen Knöcheln den Arm hinablief. Er stand mit dem Rücken zum Berg und schaute in die ängstlichen Augen des Seemanns, der sich an das Seil vor ihm klammerte.
»Du genug Kraft für weiter?«, erkundigte sich Rator.
»Ja, keine Angst. Ich habe schon bei Sturm die ganze Nacht in den Wanten gehangen und auch das überlebt«, schnaufte der Seemann.
Für den Bruchteil einer Sekunde legte sich ein Schatten über das Gesicht des Mannes. Im nächsten Moment raste ein Felsbrocken in der Größe eines Wagenrades an Rator vorbei, zerschmetterte den Seemann und riss ihn mit in die Tiefe. Das Seil hing verlassen vor dem Oger und zeigte nur noch die blutigen Schürfstellen der Hände des Menschen. Seine zwei Kameraden waren nur um Haaresbreite entkommen.
»Steinschlag!«, brüllte Rator etwas verspätet.
Nacheinander meldeten sich die einzelnen Oger von ihren Positionen. Der Felsen hatte glücklicherweise nur den einen Mann mit sich gerissen, alle übrigen waren unversehrt. Eine Weile verharrten sie an ihren Posten und lauschten auf verdächtige Geräusche, doch außer dem Wind, der sie auszulachen schien, hörten sie nichts. Langsam kamen die Kletterer wieder in Bewegung. Felsen um Felsen arbeiteten sie sich voran.
Ohne Vorwarnung stürzte der nächste Brocken an ihnen vorbei und verfehlte Tastmar nur knapp.
»Deckung!«, schrie Rator, wieder etwas zu spät.
Ein Erdrutsch oder Steinschlag war nichts Besonderes in den Bergen. Starke Regenfälle konnten das sonst so unnachgiebig wirkende Gestein in eine Lawine verwandeln, die alles zermalmte, was sich ihr auf dem Weg talabwärts entgegenstellte. Ein Steinschlag entstand, weil sich der feine Sand zwischen den großen Felsen löste und diese ins Rollen brachte. In beiden Fällen kündigte sich das Unheil vorher an. Allerdings waren es nur schwer erkennbare Zeichen, die darauf hindeuteten, wie Rieselsand, der durch die Finger glitt, oder kleine Rinnsäle aus Wasser, die zwischen den Felsen heraussickerten. Hier war es anders. Die Felsen kamen einzeln, ohne weiteres Geröll, und sie schienen es gezielt auf die Oger abgesehen zu haben. Rator kannte die Gefahren der Berge
Weitere Kostenlose Bücher