Der Rubin der Oger
nur zu genau, und er wusste auch, wann er angegriffen wurde.
Eng an die Wand gedrängt drehte Rator sich auf seinem Vorsprung wieder dem Berg zu. Er musterte den Weg hinauf und warf Gnunt einen Blick zu. Es waren nur zehn oder zwölf Schritt bis zu ihm, aber die Strecke war auch lang genug, um einen gezielten Angriff durchzuführen. Der Wucht eines Steines von dort oben war nichts entgegenzusetzen.
In Gedanken erklomm er den Weg wieder und wieder. Jeden Vorsprung, jede Griffmulde prägte er sich ein. Ein Fehltritt oder ein Zögern konnte seinen Tod bedeuten. Er holte noch einmal tief Luft, dann begann er den Aufstieg. Kraftvoll streckten sich seine Arme und griffen nach dem nächsten Vorsprung, bevor sie seinen massigen Körper nach oben zogen. Weit spreizte er die Beine, um Halt zu finden. Sein Gewicht ruhte einen Moment auf den Schenkeln, dann griffen seine Hände wieder nach oben und packten ihr nächstes Ziel. Gleichmäßig und ohne zu stocken erkletterte er die Felswand. Schräg über ihm schlug ein Felsbrocken auf, prallte vom Massiv ab und stürzte in die Tiefe. Rator kletterte weiter.
Über ihm entdeckte er zwei kräftige lange Arme, die einen weiteren Felsen nach unten warfen. Die Attacke war schlecht gezielt, und der Stein prallte gegen einen Vorsprung. Beim Aufprall zersplitterte er in unzählige Stücke und verteilte sich über die Felswand. Rator wurde von einem größeren Brocken an der Stirn getroffen, und Blut sickerte in sein Auge. Er konnte nicht genau erkennen, wohin er griff, und er musste schnell weiter. Plötzlich packte ihn etwas am Arm und zog ihn in die Höhe. Er wurde über den Rand eines Plateaus gehievt und liegen gelassen. Rator setzte sich auf und wischte sich Staub und Blut aus den Augen. Als er wieder sehen konnte, starrte er in das Gesicht von Gnunt.
»Du bluten«, sagte der massige Oger und zeigte auf seine eigene Stirn, dann berührte er Rators klaffende Wunde.
Rator zog mit schmerzverzerrter Miene den Kopf zurück und schlug nach Gnunts Hand.
»Du bluten«, wiederholte Gnunt.
Ein lang gestrecktes Hornsignal ertönte achtzig Fuß über ihnen und ließ die beiden innehalten. Von dort kamen auch die Angriffe. Der Blick auf die Stellung der Feinde wurde verdeckt durch Trümmerteile und herausragende Stützbalken der Zwergenhallen.
Rator kannte die Sprache des Krieges besser als jede andere. Signale waren überlebenswichtig in einem Gefecht, sie entschieden über Sieg oder Niederlage. Wer sie nicht zu deuten wusste, hatte auf dem Schlachtfeld nichts zu suchen. Dennoch kam es vor, dass das Signal keinen Sinn ergab. So wie jetzt. Jemand rief nach Verstärkung, nach zusätzlichen Kriegern, die zu Hilfe eilen sollten. Doch von wo sollten die Truppen kommen?
Rator suchte die Felswand über sich ab, ob Seile herabgelassen oder neue Felsbrocken geworfen wurden. Nichts deutete darauf hin, dass das Signal gehört wurde, bis Gnunt ihm auf die Schulter tippte und auf die andere Seite der Schlucht deutete. Die Umrisse waren nur klein und schwer zu erkennen, aber die geschwungenen lederartigen Flügel und der lange echsenartige Schwanz ließen keinen Zweifel daran aufkommen, worum es sich handelte. Es waren Lindwürmer, die Reittiere der Meister. Rator zählte sechs dieser kleinen Drachen, die sich von der Steilwand lösten und mit angelegten Schwingen in die Tiefe schossen.
Pfeilschnell rasten sie dem Wasser entgegen, um kurz vor dem Aufschlagen die Flügel auszubreiten und mit den Aufwinden wieder emporzusteigen. Lindwürmer waren elegante Flieger, die ihren großen Brüdern, den Drachen, an Beweglichkeit und Geschick in nichts nachstanden. Sie waren zwar nur Tiere, die keinen magischen Odem oder eine gesteigerte Intelligenz besaßen, doch ihre scharfen Krallen und der gefürchtete Giftstachel machten sie zu gefährlichen Gegnern.
Rator hoffte, dass seine Männer die fliegenden Angreifer rechtzeitig entdecken würden, um sich zu schützen; wenn dies an einer Felswand überhaupt möglich war. Ein Warnruf allerdings würde nur die Aufmerksamkeit seiner Gegner wecken.
Die Lindwürmer kreuzten vor dem Abgrund und suchten nach ihrer Beute. Ein krächzender Laut verkündete, dass sie fündig geworden waren. Im Sturzflug schnellten sie auf die Felsen zu und breiteten erst im letzten Moment die Flügel aus, um ihre Krallen in den Gegner zu schlagen. Verfehlte dieser Angriff sein Ziel, peitschten sie mit ihrem Schwanz und versuchten, ihr Opfer mit dem Giftstachel zu treffen.
Noch waren all
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