Der Rubin der Oger
Tiefe reißen. Diese Unaufmerksamkeit nutze sein Gegner sofort und stürmte auf ihn zu. Im letzten Moment hob der Oger abwehrend die Axt. Die Wucht des Schlages zwang Rator in die Knie und stauchte seine Schultern. Um nicht von der Kraft des Trolls zerquetscht zu werden, rollte er sich seitlich ab und wollte flüchten. Doch sein Gegner war schneller.
Der Troll packte Rator am Bein und schleuderte ihn in Richtung Abgrund. Der Oger schlitterte über den Felsen und konnte gerade noch rechtzeitig die Breitaxt hinter einem Felsen verkeilen, um nicht abzustürzen. Der Troll verlor keine Zeit und setzte ihm nach. Er führte einen Schlag von oben auf Rator hinab. Der Kriegsoger packte das Fußgelenk des Kolosses und zog sich näher an den Feind heran. Abermals verfehlte die Keule ihr Ziel nur knapp.
Das Bruchstück, auf dem sie standen, sackte weiter ab, und der Troll verlor beinahe das Gleichgewicht. Endlich entdeckte Rator das eigentliche Ziel seines Angriffs. Von der Seite des Trolls hing das an einem Lederband befestigte, leicht gekrümmte Horn eines Wollbüffels hinab. Blitzschnell riss Rator das Signalinstrument an sich, rammte seinen Ellenbogen in die Männlichkeit des Gegners und schlüpfte unter dessen Beinen hindurch. Vor Schmerz brüllend führte der Troll einen Schlag blindlings nach hinten und streifte Rators Oberkörper. Die spitzen Stacheln hinterließen tiefe Schnitte auf der Brust des Ogers. Rator taumelte und geriet mit einem Bein in den Spalt, der sich weiter geöffnet hatte. Er sah, dass die beiden Gesteinsplatten nur noch von einer alten, verwitterten Wurzel zusammengehalten wurden. Der dazugehörige Baum war offenbar schon vor langer Zeit als Baumaterial für die Zwerge gefällt worden.
Der Höhlentroll hatte seine Schmerzen überwunden und konzentrierte sich erneut auf den Gegner. Sein Blick verhieß, dass er es dieses Mal zu Ende bringen wollte. Rator stand breitbeinig über dem Spalt und holte aus. Mit einem gewaltigen Schlag drosch er auf den Wurzelstrang ein. Die Klinge der Axt fuhr tief in das trockne Holz – und blieb stecken.
Ein stöhnendes Geräusch, wie ihn ein schwer beladener Marmorkarren von sich gab, stieg aus dem Spalt hervor, dicht gefolgt von einem dumpfen Knall. Die Wurzel riss auseinander und gab die Axt frei. Die vordere Hälfte des Plateaus kippte langsam ab, und Rator rettete sich mit einem Hechtsprung auf die andere Seite. Das ohrenbetäubende Knirschen übertönte Warnrufe, Angstgeschrei und Wutgebrüll. Rator sah, wie der Höhlentroll mit schwingender Keule und stampfenden Füßen auf dem Bruchstück in die Tiefe raste.
Schnell gewann Rator seine Fassung wieder und holte tief Luft. Er setzte das Horn an und blies. Einmal kurz, einmal lang, das war das Signal zum Abbruch und Rückzug. Die Lindwürmer reagierten sofort. Sie flogen größere Kreise und ließen sich tiefer fallen. Mit empörten Kreischlauten landeten sie auf der anderen Seite der Schlucht.
Erst jetzt robbte Rator zur Kante und sah hinunter. Viele Trümmer waren an der Felswand aufgeschlagen und lagen verstreut auf den verschiedenen Vorsprüngen. Direkt unter sich sah er Gnunt aus einer engen Höhle hervorschauen. In der Hand hielt er die stachelbesetzte Schwanzspitze eines Lindwurms. Siegesstolz zog er am Ende der Echse und grinste zu Rator hinauf.
»Du bluten«, rief er Rator zu und zeigte auf seine Brust.
Mit neun Ogern und einem guten Dutzend Seeleuten erklommen sie schließlich den Bergkamm. Der Erdrutsch und der Angriff hatten noch einem weiteren Oger und vier Seeleuten das Leben gekostet.
Rator, Kruzmak und Kapitän Morrodak standen am höchsten Punkt des Gebirges und ließen sich den Wind um die Nase pfeifen, zu erschöpft und ausgelaugt, um die atemberaubende Aussicht zu genießen. Kruzmak hob einen faustgroßen Stein auf und schleuderte ihn weit hinaus in die Schlucht vor ihnen. Gespannt verfolgten die drei seinen Fall, ohne die langen Schatten im Wasser zu beachten, die sich in großen Schwärmen durch die seichte Schlucht zwängten.
21
Halle der Götter
»Bei der unbesiegten Macht Tabals, wer hat den Zwergen erlaubt, die ganze Welt zu durchlöchern?«, jammerte Mogda. »Ich glaube, die kleinen Wühler haben mehr Tunnel gegraben, als es Straßen gibt.«
Seit zwei Tagen irrten sie durch Gänge und Hallen. Der einzige Wegweiser in dieser unterirdischen Stadt war Mogda, der von Zeit zu Zeit sagte: »Hier müssen wir lang!« Noch hatte es keiner gewagt, ihm zu unterstellen, er habe sich
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