Der Rubin im Rauch
was er sagte. Unten auf der Seite fand sie einen
kleinen Abschnitt, der dieselbe Nachricht enthielt, die Mr. Hopkins
aus einem Boulevardblatt entnommen hatte.
„Major Marchbanks tot?" sagte sie. „Ich kann's gar nicht glauben.
Und der Mann da -- der im karierten Anzug -- der hat das Buch
gestohlen! Der im Zug! Glaubst du, daß er grad von..."
„Ist er denn nicht in Chatham zugestiegen? Ich hab ihn ganz sicher
nicht in Swaleness gesehn. Mrs. Holland muß ihm eine Nachricht
zugespielt haben. Und dann ist er letzte Nacht gekommen und hat den
Rest holen wollen."
„Meine Pistole hat er auch mitgenommen."
„Klar hat er das gemacht, als er sie da gesehn hat. Aber du hast die
Blätter abgeschrieben -- laß mal sehn."
Sie öffnete ihr Tagebuch und reichte es über das verkratzte
Kiefernholz der Bank. Er beugte sich darüber und las. „...ein dunkler
Platz, unter einem geknoteten Tau. Drei rote Lichter beleuchten die
Stelle gut, wenn der Mond das Wasser anzieht. Du brauchst es nur zu
nehmen. Es ist ein Geschenk von mir an dich, und auch vor dem
englischen Gesetz ist es dein Eigentum. Antequam haec legis... Guter
Gott."
„Was? Verstehst du Latein?"
„Weißt du nicht, was es heißt?"
„Nein, was denn?"
„Es heißt: Wenn du dies liest, werde ich tot sein. Möge die
Erinnerung an mich... was heißt das Wort gleich, möge ich schnell
vergessen sein."
Sie fror. „Er wußte, was passieren würde", sagte sie.
„Vielleicht war's gar kein Mord", meinte Frederick. „Vielleicht
war's Selbstmord."
„Der arme Mann", sagte Sally. „Er war so unglücklich."
Sie hatte Tränen in den Augen. Sie dachte an jenes kalte, kahle
Haus und die sanfte Art, in der er mit ihr gesprochen hatte... Er
schüttelte den Kopf und bot ihr ein sauberes Taschentuch an.
Als sie ihre Tränen getrocknet hatte, sagte er: „Er spricht von einem
Versteck, merkst du das. Er teilt dir mit, wo sich der Rubin befindet
und daß er dir gehört."
„Die Gesetze Englands -- ich hab gedacht, das könnte was mit dem
Finden eines Schatzes zu tun haben. Aber dann gehört's der Krone.
Ich komm nicht drauf, was das alles soll."
„Ich auch nicht -- noch nicht. Und dann ist da der Opiumraucher Mr.
Bedwell. Irgendwie kommt man mit ihm leichter zurecht... Ah, hier
ist Trembler."
„Da, Mr. Fred", sagte Trembler, der mit drei großen Büchern
erschien. „Kann ich jetzt wieder zu meinen Platten?"
„Auf jeden Fall -- aha -- Crockfords Klerikerverzeichnis. Bedwell --
Bedwell..."
Frederick blätterte die Seiten eines dicken und feierlich
aussehenden Bandes durch, bis er fand, wonach er suchte. „Bedwell,
Pfarrer Nicholas Armbruster. Geboren 1842, in Rugby zur Schule
gegangen, 1864 Magister Artium an der Universität Oxford,
Hilfsgeistlicher in St. John, Summertown, Oxford."
„Es sind Zwillinge", bemerkte Sally.
„Genau. Weißt du, wenn irgend jemand diesen Mann aus Hollands
Pension rauskriegen soll, dann sein eigener Bruder. Wir fahren
morgen nach Oxford zu ihm."
Am Nachmittag erfuhr Sally mehr über die Familie Garland. Er war
einundzwanzig, sie achtzehn, und Haus und Laden gehörten ihrem
Onkel Webster Garland, der laut Frederick der größte Photograph
seiner Epoche war. Im Augenblick hielt er sich in Ägypten auf, und
Frederick trug die Verantwortung, mit dem Ergebnis, das Rosa so
erbost hatte. Trembler erzählte ihr dies alles, während sie im
Hinterzimmer saß und Ordnung in die Rechnungen zu bringen
begann. Frederick ging um drei Uhr weg, um ein paar Bilder im
Britischen Museum aufzunehmen, und da wurde Trembler redselig.
„Er ist 'n Künstler, Miss, das ist das Unglück", sagte er, „'s steckt
'ne Menge Geld im Fotozirkus, wenn man's nur will, aber Mr. Fred is
nich interessiert an Porträtaufnahmen und Hochzeiten. Ich hab ihn
erlebt, wie er 'ne ganze Woche lang mucksmäuschenstill auf einem
Fleck gesessen is und aufs richtige Licht auf 'nem Stückchen Wasser
gewartet hat. Wissen Sie, er macht seine Sache gut. Aber er will was
erfinden, und das verschlingt das Geld so unheimlich schnell, Sie
glauben's gar nicht. Miss Rosa ist es, die die Bude in Schwung hält."
Rosa war Schauspielerin, wie Frederick gesagt hatte, und spielte zur
Zeit in „Tot oder lebendig" im Queen's Theatre mit. Es war zwar nur
eine winzige Rolle, sagte Trembler, aber eines Tages würde sie ein
Star sein. Bei dem Aussehen und dem Temperament -- wer könnte ihr
da schon widerstehen? Aber bis jetzt war der Lohn mager, obgleich
ihr Einkommen den
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