Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Rubin im Rauch

Der Rubin im Rauch

Titel: Der Rubin im Rauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
Vom Netzwerk:
als
erwarte er ein Geschoß durch die Tür.
„Sie wollen doch hoffentlich nicht, daß ich ihn hole, oder, Miss?"
bat er. „Ich trau mich ehrlich gesagt nicht."
„Nein... im Augenblick wohl nicht."
„Geht 's um einen Termin, Miss? Das können wir jederzeit
arrangieren..."
Er schaute sich nach einem Terminkalender um.
„Nein, nein, es handelt sich um -- "
Die Tür ging auf, und der kleine Mann duckte sich unter die Theke.
„Geh hin, wo der Pfeffer wächst - " brüllte der Photograph, hörte
dann aber sofort auf. Er stand in der Türöffnung und grinste, und Sally
bemerkte, daß sie vergessen hatte, wie ungeheuer lebendig sein
Gesicht wirkte. „Hallo!" sagte er so freundlich wie möglich. „Miss
Lockhart, nicht wahr?"
Er wurde plötzlich in den Laden gestoßen, und an seiner Stelle
stand eine junge Frau, die zwei oder drei Jahre älter als Sally war. Das
rote Haar hing ihr über die Schultern, die Augen blitzten, und sie hielt
ein Papierbündel in ihrer geballten Faust. Wie schön sie ist! dachte
Sally.
„Du bist schlampig, Frederick Garland!" wütete sie. „Die
Rechnungen da sind noch von Ostern, und was hast du gemacht?
Wofür hast du das Geld ausgegeben? Was hast du je getan, außer -- "
„Was ich tue?" Er wandte sich ihr zu, und seine Stimme schwoll
gewaltig an. „Was ich tue? Ich arbeite härter als irgendwelche
Schmierenkomödianten in so 'nem Tingeltangel! Was ist zum Beispiel
mit dem Polarisationsfilter -- glaubst du, der sei mir zugeflogen? Und
was ist mit meinem Gelatine-Filmentwickeln -- "
„Der Teufel soll dein dämliches Gelatine-Filmentwickeln holen.
Und was soll das überha upt: Schmierenkomödiant? Ich dulde nicht,
daß meine Arbeit von irgend so einem zweitklassigen... Lichtbildner
verhöhnt wird, der Kunst nur als -- "
„Lichtbildner? Zweitklassig? Du kannst noch was erleben, du
schwadronierende Marionette -- "
    „Du feiger Bankrottmacher!"
„Du streitsüchtige Heulboje!"
Im nächsten Augenblick wandte er sich seelenruhig Sally zu und
sagte höflich: „Miss Lockhart, darf ich Ihnen meine Schwester Rosa
vorstellen?"
    Sally blinzelte und lächelte. Die junge Frau streckte die Hand aus
und erwiderte das Lächeln. Das mußten ja Geschwister sein; er sah
zwar bei weitem nicht so gut aus wie sie, aber beide sprühten vor
Lebendigkeit und Energie.
„Komm ich gerade ungelegen?" fragte sie.
    Er lachte, und der kleine Mann kam hinter der Theke hervor wie
eine Schnecke aus ihrem Schneckenhaus.
„Nein", antwortete Miss Garland, „überhaupt nicht. Wenn Sie
fotografiert werden wollen, sind Sie gerade rechtzeitig gekommen --
morgen haben wir den Laden vielleicht schon dichtgemacht."
Sie warf ihrem Bruder einen ärgerlichen Blick zu, der lässig
abwinkte.
„Nein, ich will nicht fotografiert werden", sagte Sally. „Ich bin
eigentlich nur gekommen, weil... es war so: ich hab Mr. Garland am
letzten Freitag getroffen und..."
„Sie sind das Mädchen aus Swaleness! Er hat mir alles erzählt."
„Kann ich jetzt wieder zu meinen Fotoplatten?" fragte der kleine
Mann.
„Ja, gehn Sie nur, Trembler", sagte der Photograph und setzte sich
ruhig auf die Theke, während der kleine Mann nervös seine Braue
betupfte und hinauseilte.
„Er arbeitet da an 'n paar Platten, wissen Sie, und er hat 'n bißchen
Angst bekommen. Meine Schwester hat versucht, mich umzubringen."
„Das sollte man wirklich", sagte sie düster.
„Sie ist äußerst erregbar. Sie ist halt Schauspielerin."
„Es tut mir leid, daß ich Sie so überfallen hab", sagte Sally. „Ich
hätte nicht kommen sollen."
    „Haben Sie Probleme?" fragte Rosa.
Sally nickte. „Aber ich will nicht -- "
„Geht's wieder um die Hexe?" fragte der Photograph.
„Ja. Aber...", sie brach ab. Ob ich's wagen soll? dachte sie. „Sie
    haben doch gesagt -- es tut mir leid, ich hab mitgehört -- Sie haben
doch gesagt, daß Sie einen Buchhalter brauchen?"
„Meine Schwester behauptet das."
„Natürlich brauchen wir einen", sagte sie heftig. „Der Fotoclown da
hat uns schrecklich in die Zwickmühle gebracht, und wenn wir's nicht
bald auseinanderklamüsern -- "
    „Maßlos übertrieben", konterte er. „Da braucht man gar nicht lang,
um auseinanderzuklamüsern."
„Dann tu's doch!" fuhr sie ihn an.
„Ich kann nicht. Ich hab nicht die Zeit, nicht das Talent dazu und
definitiv keine Lust."
„Ich wollte bloß sagen", fuhr Sally schüchtern fort, „daß ich gut mit
Zahlen umgehen kann -- ich hab meinem Vater immer geholfen, die
Bilanzen

Weitere Kostenlose Bücher