Der Rubin im Rauch
geäußert hatte.
Er machte ein resigniertes Gesicht und breitete ergeben die Arme aus.
„Was soll ich da tun? Hehre Kunst, lebe wohl!"
„Ach, hab dich nicht so", fuhr ihn Rosa an. „Mach eben daraus eine
Kunst!"
Er wandte sich ihr zu. Alle beide sind wie Raubkatzen, dachte Sally.
So lebendig und leidenschaftlich...
„Du hast recht!" sagte er plötzlich und schlug mit der Faust auf den
Tisch.
„Ich kann's nicht glauben", sagte Rosa.
„Natürlich hat sie recht, du dumme Person. Hab ich doch gleich
gemerkt. Aber was ist mit den Schulden?"
„Erstens rückt uns eigentlich keiner auf die Bude wegen Geld, das
wir schulden. Wir haben zwar 'ne ganze Menge Schulden, aber wenn
wir zeigen können, daß wir uns bemühen zu zahlen, dann sind's die
Leute schon zufrieden. Zweitens sind da die Kunden, die uns Geld
schulden. Ich will heut morgen Mahnungen losschicken. Und drittens
hat Rosa was über Untermieter gesagt. Auch wenn ich da bin, ist noch
Platz da. Das wären regelmäßige Einkünfte, auch wenn's nur ein paar
Schillinge die Woche sind. Und schließlich ist da noch das Lager.
Frederick, ich möchte, daß wir's heut morgen zusammen durchgehen,
und da schmeißen wir alles raus, was irgendwie altmodisch oder
unnötig ist. Mach einen Ausverkauf. Da kommt gleich ein bißchen
Bargeld rein, und damit können wir dann die Anzeigen bezahlen.
Trembler, könnten Sie mit dem Hof anfangen? Wir brauchen einen
freien Platz. Und Rosa - "
Sie bemerkte auf einmal, daß alle sie ziemlich verblüfft anschauten.
Frederick lächelte, und sie spürte, wie sie rot wurde. Verwirrt senkte
sie den Blick.
„Es tut mir leid! Ich wollte euch nicht herumkommandieren... ich
hab gedacht -- ich weiß auch nicht, was ich gedacht hab. Es tut mir
leid."
„Unsinn! Wir wollen's doch schließlich alle!" sagte Frederick. „Wir
brauchen jemand, der organisiert. Und das machst du."
„Ich geh schon mal", verkündete Trembler und stand auf.
„Und ich spüle ab", sagte Frederick. „Dieses eine Mal."
Er sammelte das Geschirr ein und verschwand.
„Weißt du, daß zwei Seelen in deiner Brust wohnen?" bemerkte
Rosa.
„Meinst du?"
„Wenn's ans Organisieren geht, bist du souverän - "
„Ich?"
„Aber sonst bist du so still, daß man dich kaum wahrnimmt."
„Wie schrecklich. Bin ich sehr herrisch? Ich mein's nicht so."
„Nein! So mein ich's überhaupt nicht. Es scheint bloß, als wüßtest
du genau, was zu tun ist, und weder Fred noch ich haben 'n blassen
Schimmer davon... Das ist phantastisch."
„Rosa, ich weiß so wenig! Ich weiß nicht mal, wie man richtig mit
den Leuten redet. Und was ich weiß, ist so... ich weiß auch nicht, wie
ich's sagen soll. Mädchen haben davon meist keine Ahnung. Ich
mach's gern, aber es ist nicht... irgendwie hab ich ein schlechtes
Gewissen. Als müßte ich normal sein und über Nähen und so was
Bescheid wissen."
Rosa lachte. Das Sonnenlicht schien ihr Haar in einen sprühenden
Wasserfall zu verwandeln.
„Normal!" sagte sie. „Was bin ich denn? Eine Schauspielerin --
kaum besser als 'n Straßenmädchen! Meine Eltern haben mich
rausgeworfen, weil sie nicht wollten, was ich machte. Und ich war
noch nie so glücklich -- genau wie du."
„Sie haben dich rausgeworfen? Aber was ist mit Frederick und
deinem Onkel?"
„Fred hat 'n furchtbaren Krach mit ihnen gehabt. Sie wollten, daß er
zur Universität geht und all so was. Mein Vater ist Bischof. Es war
gräßlich. Onkel Webster ist für sie 'n verkommenes Subjekt -- sie
verachten ihn. Aber ihm ist das ganz egal. Fred arbeitet schon drei
Jahre mit ihm zusammen. Er ist 'n Genie. Alle beide sind Genies.
Sally, hast du je mal was Unrechtes getan?"
Sally blinzelte. „Ich glaub nicht."
„Dann brauchst du auch keine Schuldgefühle haben, kapiert?"
„Na gut... na gut. Ich geb mir Mühe."
„Wenn du was gut kannst, mußt du's auch machen."
„Richtig."
Rosa sprang auf. „Jetzt schmeißen wir mal was von dem Zeug raus.
Ich hab schon ewig nicht mehr da reingeschaut..."
Sie arbeiteten den ganzen Morgen lang, und Trembler, der von der
allgemeinen Begeisterung angesteckt war, verkaufte einem Kunden,
der nur gekommen war, um einen Termin für Porträtaufnahmen
auszumachen, ein Stereoskop. Schließlich kam um zwölf Uhr Vikar
Bedwell.
Sally war zu der Zeit gerade hinter der Theke und schrieb
Mahnungen an Schuldner. Sie blickte auf und sah die untersetzte
Gestalt des Vikars von St. John und erkannte ihn zuerst gar nicht,
denn er trug einen groben,
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