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Der Rubin im Rauch

Der Rubin im Rauch

Titel: Der Rubin im Rauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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unbewachten Booten zu, aber sie wagten sich nur selten weit auf den
Strand hinaus. Sie kannten jedoch Mrs. Holland, und sie verfolgten
ihre Aktivitäten mit großer Aufmerksamkeit; am Tag, nachdem Sally
ihre neue Pistole ausprobiert hatte, konnten sie Jim zum Beispiel
sagen, daß Mrs. Holland und Mr. Berry am Morgen ausgegangen
waren und zwar in westliche Richtung und warm angezogen gegen die
Kälte, und daß sie noch nicht zurückgekommen waren.
    Diese besondere Expedition ging auf die Papierfetzen zurück, die
von dem Abstecher zu Ernie Blackett stammten. Zuerst hatte sie
geglaubt, Sally habe die Botschaft erfunden, um sie irrezuführen, aber
je mehr sie sich mit dem Text beschäftigte, desto mehr erkannte sie,
daß er irgendeinen Sinn haben mußte, nur konnte sie den -- verflucht
noch mal -- nicht erraten. Schließlich verlor sie die Geduld.
    „Kommen Sie, Mr. Berry", sagte sie. „Wir fahren nach Swaleness."
„Warum denn, Ma'am?"
„Da is 'n Vermögen."
„Wo denn?"
„Wenn ich das wüßte, verdammt."
„Wieso gehn wir dann hin?"
    „Jonathan Berry", sagte sie wütend. „Sie sind ein Esel. Henry
Hopkins war 'n falscher Fuffziger und unzuverlässig, aber blöd war er
nicht. Ich kann Blödmänner nicht ausstehn."
    „Tut mir leid, Ma'am", sagte Mr. Berry und schämte sich, obwohl
er nicht recht wußte, weshalb.
Mrs. Holland plante, Foreland House einen Besuch abzustatten und
die trinkfreudige Haushälterin auszufragen, falls sie überhaupt noch
da sein sollte, in der Hoffnung, daß sie mit etwas herausrücke; aber
nach einem Spaziergang durch den Schlick in beißendem Wind
fanden sie das Haus leer und abgeschlossen vor. Mrs. Holland fluchte
ausgiebig gute zehn Minuten lang, ohne sich zu wiederholen, und
verfiel dann in mißmutiges Schweigen während sie zur Stadt zurück
gingen.
„Wie heißt denn die Kneipe da am Hafen?" fragte sie.
„Kneipe, Ma'am? Ich kann mich an keine erinnern", sagte Mr.
Berry höflich.
„Das hätt ich mir ja denken können, Sie hirnverbrannter Blödian.
Aber wenn's der ,Türkenkopf ist, wie ich glaube - "
Sie sagte zum ersten Mal an diesem Tag etwas ohne Sarkasmus,
und Mr. Berrys Stimmung hob sich. Sie studierte ihren Papierfetzen
wieder einmal gründlich.
„Auf geht's", sagte sie. „Wissen Se was, Mr. Berry, ich glaub, ich
hab's..."
Sie stopfte das Papier in ihre Tasche und schlug eine schnellere
Gangart ein. Mr. Berry trottete ergeben hinterher.
„Wenn ich Ihnen sag, Sie sollen ein Glas Bier trinken, dann tun Se
das gefälligst, verflucht noch mal", sagte sie viel später. „Ich duld's
nicht, daß Se dasitzen wie so 'n verfluchter Abstinenzler und so 'n
Gesöff wie Limonade trinken, 'n großer starker Mann wie Sie -- würd
bloß unerwünschte Aufmerksamkeit erregen. Sie tun, was ich Ihnen
sag."
Sie standen vor der Kneipe. Es war dunkel; Mrs. Holland hatte
darauf bestanden, daß sie bis zum Sonnenuntergang warteten, den
Rest des Nachmittags hatte sie damit verbracht, im Hafen
rumzulungern, wo sich die Fischerboote langsam mit der Flut hoben,
die die Bucht herauf strömte. Mr. Berry hatte amüsiert beobachtet, wie
sie mit einem alten Fischer nach dem anderen gesprochen hatte --
bedeutungslose Fragen über Lichtverhältnisse, die Gezeiten und
ähnliches. Sie war zweifellos eine erstaunliche Frau.
Aber kampflos würde er kein Bier trinken.
„Ich hab meine Grundsätze", sagte er hartnäckig. „Ich hab 'n
Versprechen abgelegt, und das halt ich auch. Ich trink kein Bier."
Mrs. Holland erinnerte ihn in äußerst plastischer Ausdrucksweise,
daß er ein Dieb und Raubmörder sei und daß ein Wink von ihr
genügen würde, ihn verhaften zu lassen, und daß das, was sie wußte,
ihn innerhalb eines Monats an den Galgen brächte, aber er gab nicht
nach. Schließlich mußte sie sich zufriedengeben.
„Also gut", sagte sie bitter, „Limonade, und ich hoffe, daß Ihr
kleines, launenhaftes Gewissen da zufrieden ist. Rein mit Ihnen und
halten Se den Schnabel."
Mit der stillvergnügten Freude der Rechtschaffenen folgte ihr Mr.
Berry in den ,Türkenkopf'.
„Mir bringen Se 'n Gin, mein Lieber", sagte sie zum Wirt, „und 'n
Glas Limonade für meinen Sohn, der hat 'n empfindlichen Magen."
Der Wirt brachte die Getränke, und während Mr. Berry an seiner
Limonade nippte, verwickelte Mrs. Holland den Mann in eine
Unterhaltung. Ein hübsches Anwesen hatte er da, so direkt aufs Meer
hinaus. Sicher eine alte Kneipe? Mit 'nem alten Keller
wahrscheinlich? Ja, sie

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