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Der Rubin im Rauch

Der Rubin im Rauch

Titel: Der Rubin im Rauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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hatte beim Hereinkommen das ebenerdige
kleine Fenster gesehen, und sie hatte mit ihrem Sohn gewettet, daß
man von dort aus das Meer sehen könne. Das stimmte doch? Nur bei
Flut? Na, so was. Schade, daß es jetzt dunkel war -- da konnte sie es
ihm nicht beweisen. Ein Glas für den Wirt? Auf geht's, schließlich ist
es 'ne kalte Nacht. Ja, schade, daß es jetzt dunkel war, und sie mußten
sich bald auf den Heimweg machen. Aber sie hätte doch so gern ihre
Wette gewonnen. Sie könnte das? Wie denn? Da wär 'ne Boje in der
Bucht -- bei Flut konnte man sie sehen -- und auf der Boje waren
Lichter, oder? Da, Alfred! (zu Alfred, der verwirrt dasaß). Ist das
Beweis genug?
Er nickte eifrig, nachdem er einen Stoß abbekommen hatte und rieb
sich verstohlen den Knöchel.
„Ja, Mutter", sagte er.
Der Wirt, der Mrs. Holland vertraulich zublinzelte, hob die Klappe
der Theke hoch und ließ sie durchgehen.
„Da, die Treppe runter", sagte er. „Wenn Se zum Fenster
rausschaun, sehn Se's."
Die Kellertür befand sich in einem kleinen Flur hinter der
Gaststube, die Treppe lag im Dunkeln. Mrs. Holland zündete ein
Streichholz an und schaute sich um.
„Machen Sie die Tür zu", zischte sie Mr. Berry zu.
Er schlug sie zu und stolperte hinter ihr her.
„Vorsicht!" sagte sie.
Sie blies das Streichholz aus, und sie standen auf den Stufen im
Dunkeln.
„Was suchen wir denn?" flüsterte er.
„,Eine dunkle Stelle'", flüsterte sie. „Das ist der Keller da. ,Unter
einem geknoteten Tau' -- das ist der Türkenkopf."
„Häh?"
    „'n Türke, der 'n Turban aufhat, das hat Ähnlichkeit mit 'nem
Knoten. Harn Se das nich gewußt? Natürlich nich. ,Drei rote Lichter'
-- da is 'ne Boje draußen in der Bucht, die dreimal aufleuchtet -- ,wenn
der Mond das Wasser anzieht' -- wenn Flut is. Sehn Se? Paßt alles.
Und jetzt müssen wir bloß noch nach dem Licht schauen - "
„Ist es das, Mrs. Holland?"
    Er zeigte auf ein kleines Viereck, das im Dunkeln schwach
leuchtete.
„Wo?" fragte sie. „Ich kann nix sehn. Gehn Se aus dem Weg."
Er ging eine Stufe hinauf, und sie stellte sich an die Stelle und
spähte aus dem winzigen Fenster.
„Da hätten wir's!" rief sie. „Das ist es! Schnell jetzt: ,Drei rote
Lichter beleuchten die Stelle gut' - "
Sie drehte sich um. Durch einen außergewöhnlichen Zufall wirkte
das alte Bullaugenglas einer der Fensterscheiben als Linse, die das
entfernte Aufblitzen der Boje auf einen Fleck auf der Mauer
konzentrierte -- eine Stelle, an der der Stein lose war, wie sie
bemerkte, als ihre gierigen Klauen sich in den weichen Mörtel, der ihn
umgab, gruben.
Sie zog den Stein heraus. Er hatte nur die Größe eines Backsteins,
sie gab ihn Mr. Berry und langte in das Loch.
„Da ist 'ne Schachtel", sagte sie mit bebender Stimme. „Machen Se
schnell 'n Streichholz an. Schnell."
Er legte den Stein hin und tat wie geheißen; sie zog eine kleine,
messingbeschlagene Kassette aus dem Loch in der Mauer.
„Halt's ruhig, verdammt noch mal", sagte sie, schimpfte aber auf
ihre eigenen Hände.
Sie fummelte am Deckel herum und versuchte, das Schloß
aufzubekommen, doch da ging das Streichholz aus.
„Machen Se 'n anderes an", zischte sie. „Der verfluchte Wirt kann
jeden Augenblick kommen -- "
Das Licht flammte wieder in seinen Fingern auf. Er hielt es ganz
nahe, während sie den Riegel hin und her schob und ihn schließlich
gewaltsam aufbekam. Die Kassette war leer.
„Weg", sagte sie.
Ihre Stimme klang leise und erschrocken.
„Weg, Mrs. Holland?"
„Der Rubin, Sie Hornochse. Er war da -- in dieser Kassette -- irgend
jemand hat ihn da rausgenommen."
Wütend warf sie die Kassette ins Loch zurück, nachdem sie
nochmals nachgeschaut hatte, daß sonst nichts drin war, und zwängte
den Stein wieder an seinen Platz, als die Tür aufging und der Schein
einer Kerze auf die Treppe fiel.
„Alles in Ordnung?" ertönte die Stimme des Wirts. „Ja, danke, mein
Lieber. Hab das Lic ht gesehn und mein Sohn auch. Was, Alfred?"
„Ja, Mutter. Hab's gesehn."
„Vielen Dank", sagte Mrs. Holland, als sie aus dem Keller gingen.
„Sie harn in letzter Zeit niemand runtergelassen, oder?"
„Nicht, seit Major Marchbanks vor ein oder zwei Monaten da war.
Er wollt sich das Tudor Fundament anschaun, hat er gesagt. Netter
alter Knabe. Hat sich letzte Woche umgebracht."
„Na so was", sagte sie. „Sonst war niemand da?"
„Mein Mädchen hat vielleicht jemand runtergelassen, aber sie is im
Augenblick nicht da. Warum?"
„Nur so",

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