Der Rubin im Rauch
meinte Mrs. Holland. „Ich find halt nur, 's is 'n
anheimelndes Örtchen."
„Ganz recht", sagte er. „War's das dann?"
Mrs. Holland mußte sich damit zufriedengeben.
Aber als sie auf den Zug warteten, sagte sie zu Mr. Berry: „Es gibt
nur eine Person, die wußte, wo sich der Rubin befand, und das ist das
Mädchen. Hopkins ist tot und Ernie Blackett zählt nicht... das
Mädchen hat ihn. Ich muß sie kriegen, Mr. Berry. Und ich krieg sie
auch und ich zerfleisch sie, das tu ich. Ich hab 'ne Wut jetzt, und sie
muß dran glauben, das werden Se schon sehn."
LEIBWÄCHTERPFLICHTEN
Am Freitag, den 8. November, unternahm Mr. Selby einen Ausflug
auf dem Fluß. Es gehörte zu seinem Beruf, gelegentlich
Schiffsinspektionen in den Docks vorzunehmen, Fracht in den
Lagerhallen zu prüfen und Frachtbriefe auszustellen. Er war früher ein
guter Schiffsmakler gewesen. Er war lebhaft und energisch, und er
konnte den Wert der Waren meist gut beurteilen, sowohl in London
als auch auf ausländischen Märkten. Er konnte ein Schiff gut taxieren,
und es gab wenige Leute, die ihn bei einem Handel übers Ohr hauen
konnten. Als sich deshalb die Chance ergab, einen Schoner in
Augenschein zu nehmen, der die verlorengegangene ,Lavinia'
ersetzen konnte, ergriff Mr. Selby diese sofort -- mit einem Gefühl der
Erleichterung. Endlich war da eine Aufgabe, die nicht mit
Unerquicklichem verbunden war, bei der er nicht in dunkle Geschäfte
verwickelt wurde oder die etwas mit China zu tun hatte -- bloß ein
sauberes Schiffsmaklergeschäft. Am Freitagnachmittag fuhr er also
zum Blackwall Railway Bahnhof, warm verpackt gegen die Kälte und
mit einer Flasche Brandy in einer Innentasche, um das
Urteilsvermögen zu stärken. Mr. Berry begleitete ihn. Der letzte
Wächter hatte ein unglückliches Abenteuer mit einem Polizisten,
einem Wirtshaus und einer gestohlenen Uhr gehabt, und da Mrs.
Holland keinen besseren hatte, war Mr. Berry nach Cheapside
geschickt worden.
„Wo geht's denn hin, Mr. Selby?" fragte er, als sie aus dem Zug
stiegen.
„Zum Fluß", sagte Mr. Selby kurz angebunden.
„Oh."
Sie gingen zum Brunswick Pier, an den Mr. Selby ein Boot hatte
kommen lassen, das sie zu den Werften an der Mündung des Bow
Creek bringen sollte, wo der Schoner vor Anker lag. Der Pier lag
verlassen da, bis auf einen einzigen Kahn, der unten an der Treppe
hin- und herschaukelte und in dem sich eine Gestalt in schäbigem,
grünen Mantel und großem Hut befand, die die Ruder hielt.
Als sie ankamen, stieg der Bootsmann aus dem Kahn und half Mr.
Selby einzusteigen. Dann wandte er sich an Mr. Berry.
„Tut mir leid, Sir", sagte er. „'s passen bloß zwei ins Boot."
„Aber ich muß ihn begleiten", protestierte Mr. Berry. „Ich muß mit.
Hab Befehl."
„Tut mir leid, Sir. Kein Platz."
„Was ist denn los?" rief Mr. Selby. „Beeilung, ja? Hab keine Zeit."
„Er sagt, daß bloß zwei reinkönnen, Mr. Selby", sagte Jonathan
Berry.
„Dann nehmen Se die Ruder und rudern Se selbst", sagte Mr. Selby.
„Aber 'n bißchen dalli."
„Tut mir leid, Sir", sagte der Bootsmann. „Die
Geschäftsbedingungen sagen, daß kein Boot vermietet werden darf
ohne 'n Angestellten. Kann 's nicht ändern, Sir."
Mr. Selby schnaubte vor Ungeduld. „Also gut. Sie bleiben da, Wieheißen-Se-doch-gleich. Rühren Se sich nicht vom Fleck."
„In Ordnung, Mr. Selby", sagte sein Leibwächter.
Er setzte sich auf einen Poller, zündete eine kurze Pfeife an und sah
friedlich zu, wie Mr. Selby auf dem trüben Fluß hinweggetragen
wurde.
Erst als um sechs Uhr der Pier geschlossen wurde und er immer
noch dasaß, wurde ihm klar, daß irgend etwas nicht in Ordnung sein
konnte.
„Sie blödes Rindvieh", sagte Mrs. Holland, und dann zerpflückte sie
seinen Charakter, seine Vorfahren und sagte ihm seine Zukunft
voraus.
„Aber er hat selber gesagt, daß ich warten soll", protestierte Mr.
Berry.
„Sie merken überhaupt nicht, was gespielt wird, oder? Sie merken
überhaupt nicht, was Sie gemacht haben, Sie Dummkopf?"
„Sie sagen mir ja auch nix", murmelte der große Mann, aber er
wagte es nicht laut zu sagen.
Denn Mrs. Holland war jetzt so besessen von dem Rubin, daß sie an
sonst nichts mehr denken konnte. Mr. Selby war von
vorübergehendem Interesse gewesen, eine Zeitlang zwar recht
vielversprechend, aber nicht zu vergleichen mit der erregenden
Faszination des Rubins. Sie setzte die paar Mieter, die sie hatte, vor
die Tür, um das Haus frei zu haben, und hing ein Schild an
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