Der Rucksackmörder
stellt sie fest und sucht nach dem zuständigen Informationsschalter.
Dort wird sie von der Bodenstewardess sehr freundlich begrüßt. Die Stewardess zeigt auf einen Mann, der direkt neben ihr steht. Der nestelt nervös in seiner Jackentasche, zieht einen Ausweis hervor und stellt sich der Dame in gebrochenem Deutsch vor.
»Ich bin Detective Jeff Calderbank, sind Sie Frau Schmidl?«
Die Frau antwortet nur zögerlich: »Ja … ja, das bin ich.«
»Bitte kommen Sie doch mit mir, ich muss mit Ihnen reden.«
»Das geht nicht, ich muss hier auf meine Tochter warten.
Sie erwartet mich«, ist ihre kurze Antwort. Alles dreht sich in ihrem Kopf, sie denkt an den Zoll, an ihr riesiges Gepäck; doch sie findet keine Erklärung dafür, was dieser Mann von ihr will.
»Frau Schmidl, Ihre Tochter Simone kann nicht kommen, bitte kommen Sie mit mir in mein Büro, ich werde Ihnen alles erklären«, ersucht sie der Mann erneut.
»Was erklären?« fragt sie endlich verunsichert. »Hatte meine Tochter eine Autopanne oder etwa einen Unfall? Bitte sagen Sie es mir.«
Der Beamte führt sie zum Ausgang und spricht kein Wort Sie bleibt stehen. Noch einmal blickt sie in die riesige Halle, doch Simone ist nirgendwo zu sehen. Sie mustert jeden Reisenden zweimal, kontrolliert mit den Augen jeden Koffer, der vorbeigetragen wird. Auch der Beamte bleibt stehen. »Wo ist meine Tochter, bitte sagen Sie es mir.« Mit diesen Worten versinkt sie schier ohnmächtig in die Arme des Beamten. Sie lässt ihren Tränen freien Lauf. Immer wieder schreit sie in die Flughafenhalle: »Simone, mein Kind, wo bist du, was ist mit dir geschehen?«
Vergeblich versucht der Beamte, sie zu beruhigen: »Es wird sich alles aufklären, Sie werden sehen.« Nur mühsam schafft er es, die Frau zum Verlassen der Flughafenhalle zu bewegen.
Draußen steigen sie in einen Dienstwagen.
Auf dem Polizeirevier
Der Wagen hält vor einem altehrwürdigen Bau, in dem sich die Polizeidienststelle befindet. Nur schwer fällt es der Frau, die hohen Stufen zum Portal zu überwinden. Sie weint und schluchzt unaufhörlich. Ein freundlicher Beamter begrüßt die Ankömmlinge und begleitet sie wortlos in ein Besprechungszimmer. Ein Polizist mit mehreren Sternen auf seinen Schulterklappen bringt einen Stuhl. Verständnisvoll begrüßt er die Dame und wartet ein paar Sekunden. Dann sagt er: »Sie müssen jetzt stark sein, Frau Schmidl. Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihre Tochter als vermisst gemeldet wurde.«
»Vermisst, was soll das bedeuten?«, fragt sie unter Tränen.
»Ihre Tochter wurde von Ihrer Freundin Jenny Müller als vermisst gemeldet. Die beiden Mädchen waren seit Monaten durch Neuseeland und Australien getrampt und haben sich am 20. Januar getrennt. An diesem Tag hat Frau Müller ihre Tochter Simone zum Busbahnhof gebracht und sich dort von ihr verabschiedet.«
»Das weiß ich, Simone hatte mir davon berichtet«, unterbricht Frau Schmidl.
»Sie vereinbarten«, fährt der Beamte fort, »dass sich Simone, sobald Sie in Melbourne angekommen ist, bei ihr melden würde. Es sind nur 800 Kilometer von Sydney nach Melbourne, und das fährt ein Bus in zwei Tagen.«
»Aber es kann doch sein, dass der Bus eine Panne oder einen Unfall hatte?«, unterbricht sie.
»Nein, glauben Sie uns Frau Schmidl, wir haben sofort alles überprüft. Es gab auf dieser Strecke keinen Unfall mit einem Bus. Es gibt kein Krankenhaus, keine Jugendherberge, wo wir uns nicht nach ihr erkundigt hätten. Aber nichts, Sie ist spurlos verschwunden.«
Frau Schmidl schüttelt nur immer wieder den Kopf, sie versteht nichts mehr. Sie ist am Ende, als der Beamte fortfährt:
»Frau Schmidl, die Freundin ihrer Tochter sagte uns, dass sie vermute, dass Simone diese Strecke per Anhalter gefahren ist.
Sicher wollte sie sich die Kosten der Busfahrt sparen, was ja üblich ist bei den Jugendlichen. Zeit hatte sie ja genug bis zu Ihrem Eintreffen.«
Frau Schmidl ist in Gedanken versunken. Sie begreift nicht Wie ist es möglich, dass ihr Kind auf einer Strecke von achthundert Kilometern einfach verschwinden kann? Noch vor Tagen hatte man miteinander telefoniert, zusammen am Telefon gelacht und sich auf dieses Treffen gefreut. Gefreut auf sechs gemeinsame Wochen in einer anderen Welt. »Frau Schmidl, ich lasse Sie nun von einer Beamtin zu einem Hotel bringen, wo Sie Ihr Gepäck unterbringen und vielleicht ein wenig Ruhe finden können.«
»Ruhe finden?«, fragt sie verwundert. »Ohne meine Tochter finde ich
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