Der Rucksackmörder
gefunden. Als ich erfuhr, was sie soeben im Radio gehört hatte – dass sie meine Tochter gefunden hätten –
bin ich aus dem Bus ausgestiegen und habe ihn einem Ersatzfahrer übergeben. Meine Vorgesetzten übergingen die Situation, niemand fragte mich, ob ich Urlaub oder Hilfe brauche. Man schwieg, man überging die Angelegenheit.«
»Doch ich habe auch viel Hilfsbereitschaft und Solidarität erfahren«, fährt er fort, »nicht bei unseren Behörden, sondern in Australien. Die dortigen Fernseh- und Radiostationen strahlten sofort Suchappelle der Eltern aus. Polizisten und Freiwillige verteilten auf den Hauptreiserouten Fotos meiner Tochter. Menschlicher Beistand und Fürsorge werden in Australien groß geschrieben. Nach der Gerichtsverhandlung haben sich der Staatsanwalt und die Polizisten in ihrer Freizeit intensiv um die Angehörigen der Opfer gekümmert. Ich habe gespürt, ich bin nicht allein mit meiner Trauer. Mein besonderer Dank gehört Rita O’Malley, ihrem Mann Peter und Steve Leach, dem Chefermittler, mit denen ich noch heute nach all den Jahren in ständigem Kontakt bin. Frau O’Malley übersetzt alle australischen Nachrichten und Fernsehberichte in die deutsche Sprache und schickt sie mir zu. Ich wurde von ihr und ihrem Mann nach Australien eingeladen und genoss eine überwältigende Gastfreundschaft. Sie hat mir als Dolmetscherin in den Tagen der Gerichtsverhandlung immer zur Seite gestanden. Sie hat unendlich viel Zeit für uns geopfert, nur um uns zu helfen. Wer würde das schon bei uns tun?«
Fast täglich denkt er zurück an den Abschied von seiner Tochter am Regensburger Hauptbahnhof. Daran, wie sie in den Zug steigt, lachend, mit der Unbeschwertheit eines jungen Mädchens, das gewillt ist, die weite Welt alleine zu ergründen.
Er geht verbittert durch die Straßen der Stadt. In der Erinnerung hält er seine Tochter an der Hand. Er sieht noch immer das Gesicht seiner Tochter vor sich. Er sieht junge Mädchen mit der Statur seiner Tochter auf einem Fahrrad, beschleunigt seinen Wagen, um zu sehen, ob es nicht doch seine Tochter ist. Nach fast zehn Jahren will er immer noch nicht glauben, dass das Liebste in seinem Leben nicht zurückkehren wird, dass sich seine Hoffnung, die er nicht aufgeben will, nie erfüllen wird.
Man kann diesem Vater und allen Angehörigen der Opfer nur wünschen, dass ein klein wenig Ruhe einkehrt in ihr Leben, Doch wenn man ihn kennt, weiß man, dies wird nie geschehen.
Herbert Schmidl ist heute ein gebrochener Mann, zerstört durch die grausame Tat eines Mannes, dem er wehrlos gegenüberstand. Er sah seine Bilder in allen Zeitungen, selbstherrlich stets mit Waffen umgeben. Er sieht nicht nur den Mann, er sieht auch die Waffen, die alles Glück zerstörten in seinem Leben.
Ständig ist er auf der Suche nach Erklärungen, die er doch nicht erhalten kann. Er hofft, dass sich der Mörder seiner Tochter nicht durch einen Freitod seiner Verantwortung entzieht. Doch seine Gedanken sind gespalten, vielleicht würde ihm der Tod dieses Menschen gut tun und seine Qualen erleichtern.
Beruhigend die Worte des Vorsitzenden Richters, dass er diesem Manne nicht die Chance einer vorzeitigen Strafentlassung geben würde. Nicht abzusehen, welches Gefahrenpotenzial noch in ihm steckt.
Der Psychologe, der beim Prozess anwesend war, ist überzeugt:
»Hätte man Milat nicht verhaftet er hätte weiter gemordet Nie gab er seiner Umgebung Signale, denn bis er wieder mit sich klarkam, sonderte er sich ab. Die Konturen seiner Täterpersönlichkeit zu erkennen, ist ausgesprochen schwer.
Denn auch er bewegt sich wie viele Serientäter in der Nähe der Normalität. Psychopathologisch ist er am Ende, denn er hat sich in sich vervollkommnet.«
Kurz und prägnant versucht ihn der Psychologe zu beschreiben: »Ein paranoider Einzelgänger unserer Lebensgemeinschaft Mensch.«
Ivan Milat wird bis zu seinem Tode in Haft bleiben. Vielleicht wird er sich in der Einsamkeit seiner kleinen Zelle an die Menschen erinnern, die durch seine Taten ihr Leben lassen mussten. Auch er wird einmal alt sein, und die Schwermut wird Einzug halten in sein Leben. Keine Pflegerin wird ihn trösten.
Kein Mensch wird ihm Beistand leisten in den schweren Stunden des Alleinseins. Eines Tages werden auch die ihn vergessen haben, die er vielleicht gedeckt hat. Jene, die möglicherweise mitbeteiligt waren an den Greueltaten, für die er alleine sühnen musste.
Vielleicht wird irgendwann die Zeit kommen, in der er
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