Der Rucksackmörder
öffentlichen Aufruf an die Bevölkerung und suchen nach Ihren Brillen. Die Überschrift des Plakats können sie gerade noch entziffern. »HAVE YOU SEEN THIS GIRL?«
steht da in großen Lettern. Auch das abgebildete junge Mädchen, das sie geradezu freudestrahlend anlacht, können sie noch erkennen. »Ein sympathisches Mädchen«, stellt eine der Damen fest. Erst nachdem sie ihre Sehhilfen zurechtgesetzt haben, begreifen sie, dass es sich um den verzweifelten Hilferuf einer Familie aus Deutschland handelt. Sie erfahren, dass eine junge Frau, eine 21-jährige Touristin, seit dem 20.
Januar 1991 hier in ihrem Land, in Australien, vermisst wird.
Dass sie unterwegs war von Liverpool nach Melbourne, wo sie niemals ankam.
»Nein, was sich die jungen Frauen alles trauen. Allein mit einem riesigen Rucksack bepackt auf einem fremden Kontinent«, meint eine der Damen, als sie das Bild von Simone Schmidl betrachtet. Doch sie weiß auch, dass jugendliche Rucksacktouristen keine Seltenheit sind hier auf diesem Kontinent. Sechzig bis siebzig Prozent aller jungen Menschen erkunden Land und Leute auf diese Art und Weise.
Die Großstädte bieten unzählige Schlafmöglichkeiten zu äußerst günstigen Konditionen speziell für Rucksacktouristen.
Auch das Trampen ist recht unproblematisch. An den Hauptrouten muss man selten länger als fünf Minuten warten, bis man mitgenommen wird. Die Bewohner Australiens sind gegenüber Rucksacktouristen äußerst aufgeschlossen, haben sie doch meist selbst ihr Land auf diese Weise erkundet.
Das Foto des angeschlagenen Plakats zeigt Simone Schmidl in voller Campingausrüstung. Auf dem Rücken trägt sie einen riesigen Rucksack, der daran befestigte Schlafsack ragt weit über ihren Kopf hinaus. In der linken Hand hält sie eine Reisetasche, in der rechten eine Landkarte. Kopfschüttelnd nehmen die Frauen den Aufruf zur Kenntnis: »Wenn Sie das Mädchen gesehen haben, melden Sie sich bitte bei der nächsten Polizeistation.«
Doch ebenso wenig wie tausende anderer Menschen, die das Plakat an allen Kirchen, Polizeistationen und öffentlichen Einrichtungen sehen konnten, so hatten auch diese beiden Damen Simone Schmidl nie zu Gesicht bekommen. Erschüttert werden sie an die Fernseh- und Presseberichte erinnert, die diesen Kontinent seit Monaten beunruhigen. Jährlich verschwinden in Australien hunderte von Mädchen, weiß die dpa zu berichten. Eine australische Zeitung schreibt in großer Aufmachung: »Die australische Polizei muss sich mit Aufsehen erregenden Fällen von Mädchenhandel beschäftigen.
Nach offiziellen Berichten werden jährlich etwa einhundert Mädchen und junge Frauen im Bundesstaat Queensland von der Goldküste, dem größten australischen Ferienzentrum an der Ostküste des Landes, verschleppt und von asiatischen Gangstern an Bordelle in Japan, Taiwan, Thailand und Hongkong verkauft. Bevorzugt werden junge, blonde und schlanke Mädchen, für die Preise bis zu 300.000 A$ gezahlt werden. Oft werden die Mädchen in betäubtem Zustand über die Küstenstadt Cairns im Nordosten Queenslands entweder mit kleinen Flugzeugen oder per Schiff außer Landes gebracht«
Ein Schock ohnegleichen überfällt dieses sonnige Land.
Junge Mädchen und Frauen sind verunsichert über diese Meldungen, die durch die gesamte Medienlandschaft geistern.
»Hoffentlich gehört dieses Mädchen nicht auch zu denen, die verschleppt wurden.«
Mit diesen Worten verabschieden sich die beiden Frauen vor dem Gotteshaus.
Ein Sonderdezernat wird gegründet
Mit Entsetzen nehmen die Bewohner von Neusüdwales zur Kenntnis, dass immer mehr junge Menschen spurlos verschwinden. Zahlreiche Vermisstenanzeigen beunruhigter Eltern sind inzwischen bei den Polizeibehörden eingegangen.
Immer mehr Anzeichen deuten darauf hin, dass junge Touristen, von Liverpool startend, ihr Ziel nie erreichten. Ihre Spur verliert sich auf dem Hume Highway zwischen Sydney und Melbourne. Die Beamten gehen mittlerweile davon aus, dass das Verschwinden der jugendlichen Touristen nichts zu tun hat mit den Fällen von Mädchenhandel in Queensland.
Bob Godden, ein schwergewichtiger 48-jähriger Mann, fast zwei Meter groß, Leiter des Dezernats Schwerstkriminalität, einer der fähigsten Kriminalisten des Landes, wird beauftragt, ein Sonderdezernat zu gründen. Godden stellte zunächst ein 14-köpfiges Team zusammen und ging all den zahllosen Hinweisen aus der Bevölkerung nach. Nichts sollte dem Zufall überlassen bleiben. So war es nahe
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