Der Ruf der Finsternis - Algarad 2
sie war die Stadt nicht mehr als eine Legende, aber es gab ein paar ältere Ritter, die vor vielen Jahren in Garadin Dienst getan hatten. Ihre Mienen hellten sich auf, als sie die mächtigen Türme und geschwungenen Wehrmauern nach langer Zeit wieder erblickten.
»Wie lange wird es noch dauern, bis wir anlegen können?«, fragte der Befehlshaber der hochköniglichen Leibgarde den Kapitän.
»Nicht mehr lange, mein Lord«, antwortete Kol, »obwohl die Felsen ein zügiges Vorwärtskommen verhindern. Ich schätze, in etwa einer halben Stunde werden wir vor den Toren Garadins festmachen.«
Allmählich wurden immer mehr Einzelheiten der Festung erkennbar. Ein gigantischer Rumpf, gut dreihundert Yard im Durchmesser, bauchig geschwungen wie der einer Kogge und aus dunklem Holz gefertigt, bildete die Plattform für unzählige Häuser, Hallen und Zinnentürme, die von einer massiven Wehrmauer geschützt wurden. In sie war ein großes Portal aus Scildraun-Stahl eingelassen, das mit einer schwenkbaren Anlegebrücke versehen war, die bereits in Position gebracht dalag.
Der Befehlshaber der Dan, ein Mann im Rang eines Hauptmanns, ließ das Hornsignal blasen, das den Bewohnern Garadinsdie Ankunft des Hochkönigs übermitteln sollte. Klar schallte der Ton übers Wasser.
Auf den Türmen der Stadt flatterten die Flaggen der verschiedenen Inseln und Fürstentümer Algarads stolz im Wind, doch sonst waren keine weiteren Lebenszeichen zu sehen. War es nicht üblich, den Hochkönig mit allen Ehren willkommen zu heißen?
»Seltsam«, murmelte der Dan vor sich hin, »das königliche Begrüßungszeremoniell verlangt einen genau beschriebenen Ablauf. Üblicherweise müsste es nun aus Garadin ein Antwortsignal geben.« Doch alles blieb still.
Inzwischen hatte auch Hochkönig Andorin selbst das Deck betreten. Er stand aufrecht, strahlend in seinem weißen Umhang, das Schwert von Anoth an der Seite.
Die Tenrys näherte sich der Festung in langsamer Fahrt. Die Krieger der königlichen Leibgarde stellten sich in einer Zweierreihe hinter dem Hochkönig auf, um ihn in die Festung zu geleiten. Sie schwenkten Standarten mit den Fahnen der Fürstentümer des Reichs von Algarad.
Als die Tenrys an den Pollern vertäut worden war, öffneten die Matrosen die Planken der Reling, um dem Hochkönig und seinem Gefolge den Zugang zur Festung zur ermöglichen. Würdevoll trat Andorin an den Bordrand. Noch immer war keine Menschenseele zu sehen, keine Ehrengarde erschien, um den Herrscher von Algarad willkommen zu heißen. Das geöffnete Tor der Wehrmauer gab den Blick auf einen hohen, weiß getünchten Durchgang frei, der innerhalb der Festungsmauer verlief und auf einen weiten, verlassenen Innenhof führte.
»Irgendetwas stimmt da nicht«, sagte der Hauptmann zu seinem König. »Wo sind all die Bewohner der Festung? Unsere Ankunft wurde doch angekündigt!«
»Da! Was ist das dort?«, rief einer der Offiziere plötzlich aus und zeigte auf eine Gestalt, die am anderen Ende der Brücke erschienen war. Sie war in die weißen Gewänder der Dan-Ritter gekleidet, trug einen Helm, der ihr Gesicht verdeckte, und bedeutete ihnen winkend, ihr ins Innere der Festung zu folgen. Auf die Rufe der Dan antwortete sie nicht, sondern winkte nur umso heftiger.
»Lasst uns nachsehen, was sich dort ereignet hat«, befahl der Hochkönig gelassen.
»Hoheit, ich halte es für das Beste, Ihr bliebet an Bord und in Sicherheit, bis wir herausgefunden haben, was es mit dieser seltsamen Begrüßung auf sich hat«, meinte der Hauptmann besorgt.
Doch Andorin wollte davon nichts hören. »Noch bin ich nicht zu alt, um ein Schwert zu führen, wenn es nötig ist«, erwiderte er bestimmt.
Der andere wagte es nicht, den Wunsch Andorins infrage zu stellen, und fügte sich. »Nehmt den Hochkönig in eure Mitte und haltet Speere und Schwerter bereit«, befahl er seinen Männern. »Sollten wir angegriffen werden, ziehen wir uns sofort auf die Tenrys zurück.«
Mit gezogenen Waffen betraten sie die breite Brücke, die auf das Eingangstor zuführte.
Die Gestalt in der weißen Robe lief vor den Soldaten einher und führte sie tiefer in die Festung hinein.
»Seht Ihr, wie er hinkt?«, raunte einer der Krieger dem Hauptmann zu. »Vielleicht ist er verwundet?«
Die Krieger durchquerten einen hohen Gang, der unter der äußeren Verteidigungsmauer hindurchführte, und traten auf einen großen Innenhof, der einige tausend Menschen fassen mochte. Hohe, schlank gebaute Türme und Häuser
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