Der Ruf der Finsternis - Algarad 2
betretene Stille breitete sich aus. Die Dorfbewohner blickten zu Boden oder wandten sich mit trauriger Miene ab, mieden Tenans Blick. Eine kalte Hand fasste nach seinem Herz. »Sprecht endlich!«, sagte er mit bebender Stimme. »Ich will hören, was passiert ist.«
Hergan setzte sich neben ihn und fasste ihn sanft am Arm. »Er weilt nicht mehr unter den Lebenden«, sagte sie leise.
Urisk schrie auf und schlug die Hände vors Gesicht.
Die Welt um Tenan herum begann sich zu drehen, er schwankte im Sitzen und hielt sich an Hergans Schulter fest. Die Nachricht traf ihn wie ein Schlag, obwohl er damit gerechnet hatte. Er atmete ein paar Mal tief ein und aus – wie es ihn Dualar gelehrt hatte.
»Wie ist er gestorben?«, fragte er schließlich tonlos. »Ich will es genau wissen. Erzählt mir alles, was sich zugetragen hat – von Anfang an!«
Chem wechselte einen Blick mit Hergan, die ihm wortlos zunickte. »So hört, was sich zugetragen hat«, begann der alte Dorfvorsteher. Stockend und übermannt von den eigenen Gefühlen erzählte er von Osyns Warnung und ihrem Rückzug in die Höhlen oberhalb des Dorfes, vom Angriff der Gredows auf Esgalin, dem gewaltigen Feuerzauber, der alles zerstörte, schließlich von ihrer Flucht in die Schluchten des Muren unter Osyns Führung. Chems Stimme brach vor Trauer, und er überließ es Hergan, von dem Kampf auf der Hängebrücke und vom Tod des Comori beim Sturz in die Klamm zu berichten. Als Hergans sanfte Stimme verstummte, saßen alle schweigend im Kreis um das Feuer, das kläglich vor sich hin schwelte. Tenan vergrub das Gesicht in den Händen und verharrte eine lange Zeit in dieser Position. Es lag nicht am Qualm, dass seine Augen brannten.
Als er aufblickte, waren seine Augen gerötet, und er gewahrte Hergan, die immer noch bei ihm saß, den Arm um seine Schulter gelegt.
»Ich möchte die Stelle sehen, an der es geschehen ist«, sagte er matt.
Als Dualar es ihm wegen der drohenden Gefahr durch die Gredows verbieten wollte, hob Tenan abwehrend die Hand. »Nein«, sagte er bestimmt, »niemand wird mich davon abhalten, auch Ihr nicht, Hauptmann Dualar. Ich möchte Abschied von meinem Meister nehmen.« Zögernd gab Dualar sein Einverständnis.
»Komm, Fenn und ich führen dich hin«, erbot sich Hergan mitfühlend.
Das Wasser des Muren-Flusses toste gleichmütig durch das Halbdunkel der Schlucht, als Tenan, Hergan, Fenn und ein Dan-Krieger, der sie zu ihrem Schutz begleitete, wenig später an ihrem Rande standen und in die Tiefe hinabblickten. Vor ihnen, an den Pfosten einer Hängebrücke, hingen noch die zerfransten Enden der beiden Taue, die Hergan damals mit der Axt zerschlagen hatte, um die Gredows abzuwehren. Sonst erinnerte nichts an den fürchterlichen Kampf, der den Bewohnern die Flucht vor den Häschern des Todesfürsten ermöglicht hatte.
Tenan fühlte sich versteinert und nahm alles wie durch einen Schleier wahr. Er musste sich zwingen, seinen Geist immer wieder in die Gegenwart zurückzuholen und sich alles bewusst zu machen. Hier also hatte sein Meister Osyn den Tod gefunden. Der Comori war ehrenvoll gestorben, doch das war wenig tröstlich in Anbetracht der endgültigen Gewissheit, dass Tenan ihn für immer verloren hatte. Die Trauer, die er spürte, war grenzenlos und erfüllte sein Herz mit einer ungeahnten Schwere.
»Wir waren kurz davor, das andere Ufer zu erreichen«, murmelte Fenn zerknirscht. »Wenn nur dieser verfluchte Gredow ihn nicht zu fassen bekommen hätte!«
»Es ist nicht deine Schuld«, sagte Tenan. »Er hat dein Lebengerettet, und du hast versucht, das Gleiche für ihn zu tun. Ich war lange genug sein Schüler und kenne ihn wohl wie kein anderer, darum weiß ich, dass er das, was geschehen ist, als sein unausweichliches Schicksal angesehen hätte.«
Wieder bedauerte er, Osyn schutzlos auf Gondun zurückgelassen zu haben. Natürlich, sein Meister hatte gewollt, dass er nach Meledin ging, um den Kristall in Sicherheit zu bringen, aber er hätte ihn besser auf seiner Reise begleitet, anstatt die Gredows zu bekämpfen. Vielleicht wäre dann vieles anders verlaufen, und Tenans Mission wäre mit seiner Hilfe von Erfolg gekrönt gewesen – und Osyn wäre noch am Leben. Doch was wäre dann aus den Bewohnern Esgalins geworden?
Verzweifelt schloss er die Augen. Und plötzlich schoss eine Welle des Zorns durch seinen Körper. Die Mordknechte Achests hatten nicht nur seinen Meister Osyn umgebracht, den einzigen Menschen, der ihm wie ein Vater
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